Unter dem Motto "The Place of Purpose in a Scientific Age" ("Der Platz des Zwecks in einem wissenschaftlichen Zeitalter") lud das Institut für Ökumenische Studien den Theologen Simon Oliver zu einem Forschungsforum nach Fribourg ein.
Drei Tage diskuierten die Teilnehmer über fundamentale Frage der Ökumene, Schöpfungstheologie und theologische Perspektiven auf das Leben in einer von Technik und Wissenschaft geprägten Gesellschaft.
Simon Oliver, gegenwärtig Theologieprofessor und Leiter des Departments für Theologie und Philosophie an der Universität Durham in England, studierte zuerst Philosophie, Politik und Wirtschaft.
Er wirkte danach ein Jahr in der Mission im Kongo und wurde, nach weiteren theologischen Studien, 1999 zum anglikanischen Priester geweiht. Nach vielfältigen akademischen und seelsorgerlichen Tätigkeiten, so als Seelsorger der Universität Hertford und an einem Hospiz für sterbende Kinder, kam er 2015 an die Universität Durham.
Der anglikanische Theologe Oliver ist eine zentrale Gestalt der "Radical Orthodoxy", einer theologischen Strömung, die in den 90er Jahren entstand, und den Herausforderungen der Postmoderne in einer fundamental christlichen Weise zu begegnen versucht. Die "Radical Orthodoxy"-Bewegung begann in Cambridge und wurde von John Milbank und einigen anderen Theologen gestartet.
Der Name stammte von der Essaysammlung "Radical Orthodoxy: A New Theology", die von John Milbank, Catherine Pickstock und Graham Ward 1999 herausgegeben wurde. "Radical Orthodoxy" stellt kein geschlossenes System oder Regelwerk dar, dem sich die Vertreter unterwerfen, sondern ist eine vielgestaltige Bewegung, die einige geteilte Leitideen enthält.
Zentral ist die Haltung, dass es keine neutrale säkulare Sphäre geben kann, von der aus man den Fragen der Gegenwart adäquat begegnen kann.
Reaktion auf Säkularismus
Der Säkularismus wird selbst als Theologie, wenn auch eine pervertierte, verstanden. Die Denker von "Radical Orthodoxy" gehen davon aus, dass ein Denken, das in Kontinuität zur christlichen Lehre steht, wie sie primär in den ökumenischen Konzilien definiert wird, fähiger ist, den gegenwärtigen Herausforderungen zu begegnen, als es ein vermeintlich neutraler Säkularismus ist.
"Radical Orthodoxy" ist somit in einem doppelten Sinn zu verstehen.
Die christliche Lehre (gr. ortho doxa, richtige Lehre), soll die Wurzel (lat. radix) eines Denkens sein, das sich tiefgründig und radikal den Themen des Lebens widmet. Das bedeutet konkret, dass religiöse Begriffe wie Gott, Transzendenz oder Offenbarung im Diskurs nicht ausgeklammert werden dürfen.
"Radical Orthodoxy" geht also nicht von einem neutralen säkularen Raum aus, der mit religiöser Tradition angereichert werden kann, sondern beginnt bei der Religion, da nur sie als tief genug gehend betrachtet wird, um den grossen Fragen des Lebens adäquat zu begegnen.
Wichtige Bezugspunkte sind die die Kirchenväter (insbesondere Augustinus), Thomas von Aquin, Henri de Lubac, Hans Urs von Balthasar, Karl Barth und viele mehr.
Platon, Aristoteles und Thomas von Aquin
Simon Olivers Vorlesungen betonen die Wichtigkeit einer soliden metaphysischen Bildung in der Theologie ("That's why we have to read Plato, Aristotle and Saint Thomas!"). Insbesondere in Fragen der Anthropologie besteht er darauf, den Diskurs nicht in eine Sphäre entrücken zu lassen, die theologische Kategorien ausblendet.
In Medizin, Arbeitsethik und Technik habe dies gegenwärtig brisante politische Implikationen. So erläutert er, aus der Ideengeschichte des Abendlandes schöpfend, dass der Mensch, der lediglich als Biomaschine gesehen wird, in ganz anderer Weise kapitalistisch instrumentalisiert werden könne als ein Mensch, der als beseeltes Geschöpf Gottes verstanden würde.
Er warnt daher eindringlich davor, die Anthropologie in Kategorien zu betreiben, die allzu stark von Technik und Digitalisierung geprägt sind. Die Folgen könnten verheerend sein.
Stark ökumenisch ausgerichtete Denkströmung
"Radical Orthodoxy" ist zudem eine stark ökumenisch ausgerichtete Denkströmung. Die meisten der Gründungsfiguren sind Anglikaner, ihr Denken speist sich jedoch stark aus dem Glaubensgut der anderen Konfessionen.
Dies wurde in Olivers Ausführungen zur anglikanischen Kirche und der Ökumene spürbar, die zugleich fest in der englischen Geschichte und Kultur wurzelten, dabei jedoch stets die Gesamtkirche im Blick behielten.
Nicht nur die Kirche in England, sondern ebenfalls die englischsprachige Philosophie und Theologie hat ihr eigenes Gepräge.
Dieses wird im deutschsprachigen Raum zunehmend als dringend benötigter frischer Wind wahrgenommen. Es ist ein Stil der Theologie, der sich nicht in säkularen Anfragen verzettelt, sondern sich in christlicher Tradition der Gegenwart stellt.