Reaktionen auf Unruhen im Westjordanland

Trauer um 59 Tote und Proteste am Nakba-Tag

Streik, Trauer und die Sorge vor neuen Unruhen: Im Gazastreifen gibt es am Dienstag Dutzende Beerdigungen, im Westjordanland werden neue Konfrontationen mit israelischen Soldaten erwartet. Der UN-Sicherheitsrat will über die Lage beraten.

Schwarze Luftballons mit palästinensischen Fahnen steigen über Ramallah auf / © Oren Ziv (dpa)
Schwarze Luftballons mit palästinensischen Fahnen steigen über Ramallah auf / © Oren Ziv ( dpa )

Nach den tödlichen Konfrontationen von Palästinensern und israelischen Soldaten an der Gaza-Grenze sind am Dienstag wegen eines Generalstreiks alle Geschäfte in den Palästinensergebieten und Ost-Jerusalem geschlossen geblieben. Auch Schulen, Universitäten und Regierungseinrichtungen blieben zu. Drei Tage der Trauer begannen.

Beerdigungen und Proteste

Die Zahl der bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen getöteten Palästinenser stieg auf 59. Ein acht Monate altes Mädchen sei erstickt, nachdem es von israelischen Soldaten eingesetztes Tränengas eingeatmet habe, teilte das Gesundheitsministerium in Gaza in der Nacht zum Dienstag mit.

Die Flaggen am Amtssitz von Präsident Mahmud Abbas in Ramallah wehten auf halbmast. Im Gazastreifen sollten am Dienstag Dutzende Tote begraben werden. Einige wurden bereits am Montagabend beerdigt. Alle politischen Fraktionen riefen für Mittag zu Protesten an israelischen Armeekontrollpunkten im Westjordanland auf. Erneute Konfrontationen mit Soldaten wurden befürchtet.

Beratungen im UN-Sicherheitsrat

In einem am Montagabend verbreiteten Brief forderten palästinensische Menschenrechtsgruppen den UN-Sicherheitsrat auf, unbewaffnete palästinensische Zivilisten in Gaza zu schützen. Der UN-Sicherheitsrat solle die "fortschreitende und bevorstehende Eskalation der Gewalt in den besetzten palästinensischen Gebieten und speziell im Gazastreifen, wo palästinensischen Demonstranten seit dem 30. März 2018 von den israelischen Besatzungstruppen mit tödlicher Gewalt getroffen wurden, verurteilen". Der UN-Sicherheitsrat wollte am Dienstag über die Lage beraten.

Am Nakba-Tag an diesem Dienstag erinnern die Palästinenser zudem traditionell an die Flucht und Vertreibung Hunderttausender im Zuge der israelischen Staatsgründung vor 70 Jahren. Dabei kam es bereits in der Vergangenheit zu Unruhen. Israel öffnete den am Wochenende schwer beschädigten Warenübergang Kerem Schalom wieder, wie die zuständige Behörde bestätigte.

Israelische Luftwaffe gegen Hamas

Palästinenser hatten nach Angaben der Armee am Freitag bei Ausschreitungen den Warenübergang erneut in Brand gesetzt. Der einzige Übergang, über den der Gazastreifen mit humanitären Hilfsgütern und Warenlieferungen versorgt wird, war mehrere Tage nicht benutzbar.

Die israelische Luftwaffe griff am Montag insgesamt elf Ziele in einem Komplex der radikalislamischen Hamas im nördlichen Gazastreifen an. Zusätzlich beschossen Panzer zwei Hamas-Stützpunkte im Norden und Süden des Küstengebietes, wie die Armee in der Nacht zu Dienstag mitteilte.

Eröffnung der US-Botschaft war Auslöser

Ein Auslöser für die Proteste im Gazastreifen war die Eröffnung der US-Botschaft am Montag in Jerusalem, dem 70. Jahrestag der israelischen Staatsgründung. Die Menschen protestieren zudem gegen eine mehr als zehnjährige Blockade des Küstenstreifens durch Israel und Ägypten.

Die USA hatten am Montag ihre Botschaft im Jerusalemer Stadtteil Arnona eröffnet. US-Präsident Donald Trump hatte vor rund sechs Monaten in einem international scharf kritisierten Schritt Jerusalem einseitig als Israels Hauptstadt anerkannt. Dabei kündigte er auch die Verlegung der Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem an.

Kritik von Jordanien

Der jordanische König Abdullah II. kritisierte die Verlegung der US-Botschaft in Israel als eine Bedrohung für die Sicherheit und die Stabilität im Nahen Osten. In einem Telefongespräch mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verurteilte er am Montagabend ferner die massive israelische Gewalt gegen Palästinenser im Gazastreifen, wie die Tageszeitung "Jordan Times" unter Berufung auf eine Mitteilung des Königshauses berichtete.

Jerusalem sei der Schlüssel zum Erreichen von Frieden und Stabilität in der Region. Der Status der Stadt müsse im Rahmen einer umfassenden Lösung und in Übereinstimmung mit der Zwei-Staaten-Lösung geklärt werden. Abdullah II. rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, ihre moralische und rechtliche Verantwortung zum Schutz der Palästinenser zu übernehmen.

Scharfe Kritik an der israelischen Gewalt gegen Demonstranten im Gazastreifen sowie an der US-Jerusalementscheidung kam laut Bericht auch vom jordanischen Ministerrat. Regierungssprecher Mohammed Momani kritisierte die Botschaftsverlegung als Bruch von UN-Konventionen und internationalen Abkommen. Er forderte eine Friedenslösung im israelisch-palästinensischen Konflikt mit der Schaffung eines palästinensischen Staates in den Grenzen und Ostjerusalem als Hauptstadt. Dies sei notwendig, um Frieden und Sicherheit für Juden, Muslime und Christen in Jerusalem und der ganzen Region wiederherzustellen.

Die Hauptstadtfrage

Jerusalem gilt als eine zentrale Streitfrage im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Israel hat den Ostteil der Stadt im Sechstagekrieg 1967 erobert. Den Anspruch der Palästinensern auf Ost-Jerusalem als Hauptstadt für einen künftigen Staat Palästina lehnt Israel ab. Nach Ansicht der internationalen Gemeinschaft muss der Status der Stadt in gemeinsamen Friedensgesprächen zwischen Israel und Palästinenser festgelegt werden.

Israel wirft der im Gazastreifen herrschenden Hamas vor, Zivilisten im Konflikt auf zynische Weise als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen. Israels Armee hat den Auftrag, Palästinenser um jeden Preis daran zu hindern, die Gaza-Grenze zu überqueren. Die Hamas wolle unter dem Deckmantel der Proteste Anschläge in israelischen Grenzorten verüben, sagte Armeesprecher Ronen Manelis. Auch am Dienstag werden neue Proteste erwartet.

Guatemala folgt den USA

Ungeachtet internationaler Kritik eröffnet nach den USA auch Guatemala seine neue Botschaft in Jerusalem. Präsident Jimmy Morales reise für die Einweihung am Mittwoch nach Israel, teilte die Regierung des mittelamerikanischen Landes am Montag (Ortszeit) mit. Guatemala hatte als zweites Land nach den USA die Verlegung seiner Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem angekündigt. Auch Paraguay will seine Botschaft kommende Woche verlegen, in Honduras gibt es ebenfalls Bestrebungen.

Südafrika hingegen hat seinen Botschafter aus Israel abgezogen. Dies sei eine Reaktion auf die jüngste Gewalt im Gazastreifen, wie das Ministerium für internationale Beziehungen und Zusammenarbeit (DIRCO) in Pretoria in der Nacht auf Dienstag mitteilte. Von jüdischer Seite in Südafrika wurde die Einberufung kritisiert.

Südafrika kritisiert Israel

"Südafrikas Regierung verurteilt aufs Schärfste den Akt gewaltsamer Aggression durch Israels Armee entlang der Grenze zu Gaza", begründete ein Sprecher der Regierung den Rückruf von Botschafter Sisa Ngombane. Die dabei getöteten Palästinenser hätten am Montag "friedlich" gegen die "provokative Eröffnung" der US-Botschaft in Jerusalem protestiert. Die Regierung in Pretoria forderte erneut einen Rückzug des israerlischen Militärs aus dem Gazastreifen und ein Ende des "gewaltsamen und zerstörerischen Einfalls" auf palästinensisches Territorium.

Nach der Gewalt an der Gaza-Grenze lehnen die USA eine unabhängige Untersuchung der Konfrontationen ab. Unter den Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats kursierte am Montag der Entwurf für eine gemeinsame Stellungnahme zu der Gewalt, in der auch eine solche Untersuchung gefordert wurde. Diesen Entwurf blockierten die USA jedoch, wie ein Diplomat der Deutschen Presse-Agentur bestätigte. Der Rat wollte am Dienstag über die Lage beraten und sich dabei auch vom Nahost-Beauftragten Nikolaj Mladenow informieren lassen.


Proteste in Gaza / © Wissam Nassar (dpa)
Proteste in Gaza / © Wissam Nassar ( dpa )
Quelle:
dpa , KNA
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