Rechtsstreit um Wittenberger "Judensau" erreicht nächste Instanz

Wie mit Stein gewordenem Antisemitismus umgehen?

Ein mittelalterliches Schmährelief an der Wittenberger Stadtkirche, die sogenannte Judensau, sorgt seit Jahrzehnten für Diskussionen. An diesem Dienstag beschäftigt sich das Oberlandesgericht Naumburg mit dem Fall.

Eine als "Judensau" bezeichnete mittelalterliche Schmähskulptur an der Außenwand der Wittenberger Stadtkirche Sankt Marien / © Hendrik Schmidt (dpa)
Eine als "Judensau" bezeichnete mittelalterliche Schmähskulptur an der Außenwand der Wittenberger Stadtkirche Sankt Marien / © Hendrik Schmidt ( dpa )

Das Schwein des Anstoßes hängt in etwa vier Metern Höhe an der Außenmauer der Wittenberger Stadtkirche, einem berühmten Ausgangspunkt der Reformation. Auf dem mehr als 700 Jahre alten Sandsteinrelief ist ein Rabbiner zu sehen, der den Ringelschwanz eines Schweins anhebt und ihm in den After sieht. Die Schmähplastik sorgt seit Jahrzehnten für Debatten. 1988 ließ die evangelische Stadtkirchengemeinde unterhalb am Boden ein Mahnmal und eine Gedenktafel anbringen.

Doch das reicht einem Mitglied der Jüdischen Gemeinde zu Berlin nicht aus. Der Mann sieht in dem öffentlichen Relief eine antisemitsche Beleidigung und klagte auf Beseitigung. Das Landgericht Dessau-Roßlau wies die Klage im Mai 2019 ab. Es sah den Tatbestand der Beleidigung nicht erfüllt. Das Relief sei Bestandteil eines historischen Gebäudes und befinde sich nicht unkommentiert an der Mauer der Stadtkirche, hieß es zur Begründung. Zudem sei es in eine Gedenkkultur eingebettet. Der Kläger ging in Berufung. Am Dienstag verhandelt das Oberlandesgericht Naumburg über Verbleib oder Abnahme des Reliefs und die Frage, ob es eine Beleidigung darstellt.

"Judensau" ist eine der übelsten Schmähungen des Judentums 

Was den Ausdruck "Judensau" angeht, ist die Sache eindeutig: Wer das zu jemand anderem sagt, macht sich in Deutschland wegen Beleidigung strafbar und kann zu einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe verurteilt werden. Doch wie verhält es sich mit Stein gewordenem, historischem Antisemitismus? Judenhass unter Denkmalschutz? Die Sache ist nicht ganz einfach, was sich nicht zuletzt in der intensiven Debatte um den Umgang mit dem Relief zeigt.

Fest steht, dass das Bildmotiv "Judensau" seit dem Mittelalter zu den übelsten Schmähungen des Judentums gehört. Noch heute finden sich entsprechende Darstellungen an rund 30 evangelischen und katholischen Kirchen im deutsch geprägten Kulturraum. Die Liste reicht vom Kölner Dom über das Martinsmünster im elsässischen Colmar bis hin zum Dom in Brandenburg an der Havel.

Da der mitteldeutsche Raum im Mittelalter etwa zwei Jahrhunderte Zentrum des europäischen Judentums war, befinden sich dort solche Darstellungen gehäufter; neben Wittenberg etwa noch in Magdeburg, Erfurt oder Zerbst.

Landesbischof Kramer ist für Abnahme des Reliefs

Wittenberg ist somit kein Einzelfall und doch ein Sonderfall: Zum einen wurde das Relief 1570 um die Inschrift "Rabini-Schem HaMphoras", was für den im Judentum unaussprechlichen heiligen Namen Gottes steht, ergänzt - inspiriert vermutlich von einer gleichlautenden antijudaistischen Schrift Martin Luthers von 1543. 

Zum anderen beginnt die Aufarbeitung der "Saugeschichte" in Wittenberg, wie der mitteldeutschen Landesbischof Friedrich Kramer im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sagte: "Es ist die erste Sau im ganzen europäischen Raum, die kommentiert wurde - seit 1988 gibt es eine Bodenplatte mit einem erläuternden Schriftzug."

Kramer, in Wittenberg aufgewachsen und dort lange Leiter der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt, ist seit langem mit der Debatte vertraut. Sein Urteil ist eindeutig: "Ich bin dafür, die Schandplastik von der Kirchenfassade abzunehmen und im öffentlichen Raum gleich vor Ort mit einer Erklärung auszustellen.  In ein Museum gehört die Sau meiner Ansicht nach nicht, das wäre zu weit weg von der Debatte und den Menschen." Letzteres hatte unter anderem der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, gefordert.

"Eigentlich eine Schande für uns"

Andere wie der Historiker Michael Wolffsohn sind klar gegen eine Entfernung des Reliefs. "Wegwischen und Entfernen" führe dazu, dass man sich nicht mit einem Thema auseinandersetze, so Wolffsohn. Bischof Kramer äußerte "großes Verständnis" für die Position, dass man Geschichte nicht einfach wegmeißeln dürfe. Dennoch müssten die Darstellungen entfernt werden, "weil sie genau die Überschreitung von der reinen Allegorie hin zur antisemitischen Beschimpfung sind, wie das Wort 'Judensau' deutlich zeigt".

Mit Blick auf den Gerichtsprozess sagte Kramer: "Eigentlich ist das eine Schande für uns. Denn es zeigt: Auch die kommentierte Sau 'predigt' noch, und Juden fühlen sich davon verletzt. Warum sind wir so unempfindlich gegen dieses Gefühl unserer jüdischen Geschwister?" Anderseits sei deutlich, dass die Stadtkirchengemeinde nicht beleidigen wolle, da sie sich mit dem Mahnmal deutlich distanziere.

Von Karin Wollschläger


Quelle:
KNA
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