Recklinghäuser Arzt und SkF versorgen Menschen in Not

"Jeder Mensch hat seine Würde"

Zu seinen Patienten zählen Obdachlose ohne Krankenversicherung oder Flüchtlinge, die dringend eine ärztliche Untersuchung benötigen. Bei Markus Dechêne in Recklinghausen finden Sie Hilfe. Auch dank der Unterstützung des SkF.

Symbolbild Arzt verbindet eine Patientin / © Dragon Images (shutterstock)
Symbolbild Arzt verbindet eine Patientin / © Dragon Images ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Gemeinsam mit dem Sozialdienst katholischer Frauen und einiger anderer Ärztinnen und Ärzte aus Recklinghausen kümmern Sie sich um Wohnungslose. Wie kam es zu dieser Idee?

Dr. Dechêne behandelt ehrenamtlich Obdachlose und Menschen ohne Krankenversicherung. / © Oliver Kelch (DR)
Dr. Dechêne behandelt ehrenamtlich Obdachlose und Menschen ohne Krankenversicherung. / © Oliver Kelch (DR)

Dr. Markus Dechêne (Hausarzt und Internist aus Recklinghausen): Im Jahr 2015 hatten wir einen großen Ansturm von geflüchteten Menschen im Rahmen der Krisen im Nahen Osten. Es sind ja ganz viele Menschen aus Syrien, aus Kurdistan und aus dem Irak zu uns gekommen. Die hatten zunächst keine Krankenversicherung.

Der Sozialdienst katholischer Frauen hat mich daraufhin angesprochen. Ich habe mich dann bereit erklärt, den Leuten zunächst unentgeltlich die medizinische Versorgung anzubieten. Wir haben Verbände gemacht, Medikamente verordnet, manchmal mussten wir auch wegen notwendiger Behandlungen mit dem Krankenhaus verhandeln.

In der Anfangszeit war wirklich sehr viel zu tun. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ein schwerkranker Säugling bei mir war und ich dann den Notarzt rufen musste.

DOMRADIO.DE: Das ist nun sieben Jahr her. Ist die Situation noch immer so?

Dechêne: Das hat sich alles beruhigt. Zum einen ist der Strom dann abgeklungen, zum anderen hat man auch dafür gesorgt, dass die Leute eine Krankenversicherung bekommen haben. Es gibt aber weiterhin Bedarf an medizinischer Hilfe für Geflüchtete.

Wir haben das auch auf Menschen ohne Krankenversicherung erweitert. Da gibt es gerade im ärmeren Süden der Stadt mehr Bedarf. Im Moment sieht es so aus, dass ich am Donnerstag in die Südstadt fahre. Da gibt es das Stadtteil-Büro des SkF. Der SkF leistet eine sehr wertvolle Arbeit vor Ort. Wir haben dort ein gespendetes Ultraschallgerät, Verbandsmaterial, einen Untersuchungsraum. Im Schnitt kommen zwei bis drei Leute dorthin.

Wir versuchen denen auch ohne Krankenversicherung zu helfen. Wenn es nur um Tabletten geht, dann können wir das oft hinkriegen. Die bekommen ein Privatrezept und können damit zur Apotheke gehen. Der SkF übernimmt die Kosten.

Ich biete meine ärztlich-handwerkliche Tätigkeit natürlich umsonst an. Es stehen nicht nur Obdachlose allein im Fokus. Obdachlosigkeit und fehlende Krankenversicherung ist ja nicht das Gleiche. Es kommen zum Beispiel auch Unternehmer, die irgendwann mal wirtschaftlich kein Glück gehabt haben. Die Menschen, die kommen, sind oft arm, brauchen auch Kleidung und benötigen oft soziale Hilfen.

Es gibt zum Beispiel auch Obdachlose, die krankenversichert sind, die das aber gar nicht wissen, weil sie sich nicht mehr um ihren Versicherungsstatus gekümmert haben. Das ist dann auch Teil meiner Aufgabe, dass ich nachfrage und darum bitte, dass der Versicherungsstatus geklärt wird.

Ich hatte eine Zeit lang zum Beispiel eine Familie mit vier Kindern in der Behandlung. Der Mutter habe ich jedes Mal gesagt, dass die Kinder nur erkältet sind oder die nur mal schlechte Zähne haben. Das sei alles gut zu behandeln. Aber wenn die mal richtig schwer krank werden, die Meningitis kriegen oder ein Blinddarm-Durchbruch, dann bräuchten die unbedingt eine Krankenversicherung. Das habe ich dann an die Kollegen vom SkF weitergegeben, damit die sich zumindest um die Kinder kümmern.

Ein Arzt behandelt einen Patienten / © Portrait Image Asia (shutterstock)
Ein Arzt behandelt einen Patienten / © Portrait Image Asia ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Da klingt sehr viel Nächstenliebe durch. Sie sind Katholik. Hat der katholische Glaube damit zu tun?

Dechêne: Ich will das gar nicht so pathetisch hervorheben. Für mich gehört das zur Ethik des Arztberufes. Ich habe das auch meinen Angestellten hier gesagt.

Es kommt prinzipiell jeder rein. Mir ist es egal, ob der Christ, Jude oder Moslem ist, ob der Mann oder Frau ist oder arm oder reich. Wir behandeln jeden. Ich bemühe mich, jeden vernünftig anzusprechen. Jeder Mensch hat seine Würde. Das ist nichts, worüber ich nachdenke.

Ich gehe auch nicht jede Woche in die Kirche, um mich da sehen zu lassen. Das ist mir nicht so wichtig. Ich bin, was das betrifft, mit mir im Reinen. Vielleicht darf ich aber sagen, dass ich in großer Sorge bin, dass unsere Gesellschaft auseinanderfliegt, wenn ich mir die sozialen Gegensätze angucke.

DOMRADIO.DE: Da wäre dann aber auch die Politik gefragt, oder?

Dechêne: Ich habe in der Anfangszeit zum Beispiel 30-jährige und 40-jährige Frauen gesehen. Die waren zuvor in Lybien, sie wurden vergewaltigt. Die sahen aus, als wären sie 70 oder 80 Jahre alt. Sie waren schwerst gealtert, schwerst traumatisiert.

Das war die Zeit, in der ein christlicher Politiker von Asyltourismus gesprochen hat. Als ob die eine Touristen-Reise über das Mittelmeer machen würden! Bei diesen Politikern bin ich nicht dabei. Damit möchte ich auch nichts zu tun haben.

Sie merken das auch bei denen, die jetzt eine Krankenversicherung haben. Die bedanken sich für Kleinigkeiten. Eine Form von Zuwendung, die für mich oder auch meine Mitarbeiterinnen selbstverständlich ist. Deswegen ist es vielleicht eine Botschaft, dass wir uns alle zusammen überlegen sollten, wie wir miteinander umgehen.

DOMRADIO.DE: Wenn Sie einen schweren Krankheitsfall haben, den Sie hier nicht operieren können und die Person ins Krankenhaus muss, dann kostet das Geld. Dann wird es kompliziert, oder?

Dechêne: Ja. Ich hatte neulich einen urologischen Fall, den ich an meinen geschätzten Kollegen weitergeben konnte, der das auch ohne viel Nachfragen weiter behandelt. Ich habe auch mit einer gynäkologische Kollegin ein kleines Netzwerk, die mir hilft, wenn es um eine größere Operation geht.

Das hatten wir auch schon mal, da muss man halt verhandeln. Das übernimmt zum Teil der Sozialdienst katholischer Frauen. Der muss dann mit dem Krankenhaus verhandeln, ob man da "Fünfe gerade sein lässt".

DOMRADIO.DE: Also sind irgendwo auch Grenzen gesetzt?

Dechêne: Wir können so große Operationen nicht finanzieren. Es gibt ein Spendenkonto, das nicht so besonders gut bestückt ist. Ich bin auch über die Finanzflüsse nicht immer informiert. So grob reicht es einigermaßen, um die Medikamente zu finanzieren. Das ist der normale Alltag.

Es kommen ab und zu Leute, die Kreislaufmittel, Kopfschmerztabletten oder Antibiotika brauchen. Das kriegen wir finanziert. Aber bei einer großen Operation, die vier- oder fünfstellige Beträge kosten würde, sind unsere Grenzen dann schon überschritten.

SKM Köln hilft Obdachlosen / © Dutchmen Photography (shutterstock)
SKM Köln hilft Obdachlosen / © Dutchmen Photography ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Wir steuern auf die kalte Jahreszeit zu. Wie kann jeder einzelne Bürger dafür sorgen, dass es Obdachlosen auf der Straße besser geht?

Dechêne: Ich möchte den Menschen nicht irgendwelche Vorschriften machen, was sie tun oder lassen sollen. Das kann jeder für sich entscheiden.

Wenn ich als Arzt sehe, dass es einem Obdachlosen schlecht geht, er Schüttelfrost oder eine offene Wunde hat, dann sehe ich zu, dass ich ihm helfen kann. Ich will ich den einzelnen Menschen keine Vorschläge machen. Das ist auch ein Stück weit Aufgabe der Kommunen, die für die Obdachlosen sorgen.

Es ist ist eine Aufgabe von Politik, Armut und soziale Ungleichheit anzugehen oder eben nicht. Ich habe interessehalber nur zufällig noch eine Statistik über die wachsende soziale Ungleichheit gelesen. Wenn wir eine immer größer werdende Lücke zwischen Arm und Reich haben, dann ist das auch nicht gut für unsere Demokratie. Dann koppeln sich auch die Armen ab, gehen nicht mehr wählen oder wählen Faschisten und sagen, dass sie sich von den demokratischen Parteien nichts mehr erhoffen.

DOMRADIO.DE: Man hört Ihre große Unzufriedenheit mit dem Gesundheitssystem heraus.

Dechêne: Wenn Sie mich das als Hausarzt fragen, dann kann ich sagen, dass ich immer mehr Unkosten habe. Ich lege großen Wert darauf, dass dass wir unsere Angestellten vernünftig bezahlen. Aber das fällt immer schwerer.

Ein geschätzter Kollege in der Umgebung musste aufhören. Da habe ich gesagt, dass wir alle Patienten, die zu uns kommen wollen, aufnehmen. Aber es fällt inzwischen schon schwer. Wir sind an der Grenze der finanziellen Belastbarkeit angekommen. Aber da geht es mir wahrscheinlich nicht alleine so.

Das Interview führte Oliver Kelch.

Sozialdienst katholischer Frauen (SkF)

Die Gründung des Sozialdienstes katholischer Frauen e. V. Köln geht zurück auf die Initiative zweier Frauen, Agnes Neuhaus in Dortmund und Marie Le Hanne Reichensperger in Köln, die sich unabhängig voneinander um 1899/1900 herum entschlossen, Frauen und Mädchen in Not Hilfe zu leisten.

Sozial-caritatives Leben entsprach zwar durchaus den gesellschaftlichen Moralvorstellungen und dem Frauenbild des ausgehenden 19. Jahrhunderts, allerdings nicht in der Form, wie es dann von den Frauen dieses Vereins gelebt wurde.

Sozialdienst Katholischer Frauen (DR)
Sozialdienst Katholischer Frauen / ( DR )
Quelle:
DR