Bundestag beschließt Tarifbindung in der Pflege

Reform oder Reförmchen?

Nicht erst seit Corona hat sich die Pflege zum politischen Mega-Thema entwickelt. Auf den letzten Metern hat der Bundestag eine weitere Reform beschlossen. Doch das wird das, was nun beschlossen wurde, auch reichen?

Autor/in:
Christoph Arens
Symbolbild Patient liegt in einem Bett / © Thaiview (shutterstock)
Symbolbild Patient liegt in einem Bett / © Thaiview ( shutterstock )

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) spricht von einem "beachtlichen Reformpaket" mit einem Volumen von drei Milliarden Euro. Kritiker der am Freitag vom Bundestag verabschiedeten Pflegereform sprechen dagegen von einem "Reförmchen" und von Stückwerk.

Fest steht, dass Union und SPD sich auf den letzten Metern der Legislaturperiode doch noch geeinigt haben: Erstmals in der mehr als 25-jährigen Geschichte der Pflegeversicherung gibt es einen jährlichen Steuerzuschuss von einer Milliarde Euro. Und erstmals werden Arbeitgeber verpflichtet, Tariflöhne oder Löhne in gleicher Höhe zu zahlen.

Nach der Reform ist vor der Reform

Zugleich sollen Pflegebedürftige von immer weiter steigenden Zuzahlungen für die Pflege im Heim entlastet werden. Dafür sollen sie ab Januar 2022 gestufte Zuschläge bekommen, die den Eigenanteil für die reine Pflege abbremsen. Zur Gegenfinanzierung soll der Zuschlag für Kinderlose beim Pflegebeitrag um 0,1 Punkte auf künftig 0,35 Prozentpunkte angehoben werden. Damit steigt der Beitrag für sie von 3,3 auf 3,4 Prozent des Bruttolohns.

Doch nach der Reform ist vor der Reform. Eine "demografiefeste Pflegeversicherung" bleibe Aufgabe für die kommende Bundesregierung, erklärten beispielsweise die beiden kirchlichen Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie. Und auch der Bundesgesundheitsminister räumt ein, dass die Pflege auch für die kommende Bundesregierung auf der Tagesordnung bleibt. "Pflege ist eine der sozialen Fragen der 20er Jahre", sagte Spahn am Freitag der "Apotheken-Umschau".

Dabei ist in der Pflege zuletzt fast kein Stein auf dem anderen geblieben. In drei Reformen haben die letzten Bundesregierungen dafür gesorgt, dass Demenzkranke mehr Leistungen erhalten, Pflegebedürftige möglichst lange zu Hause bleiben und pflegende Angehörige mehr Unterstützung erhalten. Die Pflegeausbildung ist reformiert und der Mindestlohn erhöht worden. Personalbemessungsinstrumente in Kranken- und Altenpflege sind auf den Weg gebracht und zusätzliche Stellen finanziert worden. Die Löhne in der Altenpflege sind laut Bundesagentur für Arbeit überdurchschnittlich gestiegen - allerdings von einem niedrigen Ausgangspunkt.

In der alternden Gesellschaft bleibt die Pflege ein Jobmotor: Die Zahl der stationären Heime wuchs zwischen 2017 und 2020 um rund 900 auf 15.400 Einrichtungen. In ihnen waren mehr als 796.000 Personen beschäftigt, 4,2 Prozent mehr als 2017. Zuwachs gab es auch bei den ambulanten Pflegediensten, die um 600 auf 14.700 anwuchsen. Dort sind mehr als 421.000 Menschen beschäftigt - ein Plus von 8 Prozent.

Großer Personalmangel

Zugleich gleicht die Pflege einer riesigen Baustelle mit großem Personalmangel: Laut Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) könnten im Jahr 2035 in den Pflege- und Gesundheitsberufen rund 270.000 Fachkräfte fehlen - auch weil die Zahl der Pflegebedürftigen weiter anwächst. Derzeit erhalten 4,13 Millionen Leistungen der Pflegeversicherung; 2050 wird mit mehr als 5 Millionen Pflegebedürftigen gerechnet.

Mit zum Personalmangel beigetragen hat auch ein Problem, das sich während der Corona-Pandemie noch verschärft hat: Laut Krankenkasse Barmer sind die 1,7 Millionen Pflegekräfte vielfach gesundheitlich "am Limit". Schichtdienst, hohe körperliche Anforderungen, Zeitdruck und zu wenig Personal bringen viele von ihnen an die körperlichen und psychischen Grenzen, wie der Bremer Pflegewissenschaftler Heinz Rothgang betont.

Auch in der ambulanten Pflege gibt es mehr als genug zu tun. Caritas und Patientenschützer Eugen Brysch sehen sie derzeit als stark vernachlässigt an. Dabei werden - Stand 2019 - 80 Prozent beziehungsweise 3,31 Millionen Pflegebedürftigen zu Hause versorgt, vor allem durch Angehörige, aber auch durch privat engagierte Helfer oder ambulante Betreuungsdienste. Eine stark steigende Kurve - denn 2009 waren es noch 69,4 Prozent und 2015 rund 72,6 Prozent.

Auch hier muss an vielen Stellschrauben gedreht werden: Entlastung der Angehörigen durch Beratung und Kurzzeitpflege, neue gemeinschaftliche Wohnformen, Entwicklung von Hilfsangeboten in den Dörfern und Stadtteilen oder digitale Helfer, die dafür sorgen, dass alte Menschen länger in den eigenen vier Wänden wohnen können.


Quelle:
KNA
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