In den vergangenen Monaten gingen in Indonesien Zehntausende Studenten gegen den immer größer werdenden Einfluss des fundamentalistischen Islam auf die Straße. Ein Anlass war der Entwurf eines neuen Strafrechts, der eine islamistische Handschrift trägt.
Zudem protestierten die Menschen gegen die noch vom alten Parlament im Eilverfahren beschlossene Schwächung der Antikorruptionskommission KPK.
Dem Volkszorn hat sich Präsident Joko Widodo gebeugt, der an diesem Sonntag seine zweite Amtszeit antritt: Er verschob die Abstimmung über die Strafrechtsreform vom alten auf das seit diesem Monat amtierende neue Parlament. Gescheitert aber ist die gemeinsame Mission moderater muslimischer Kleriker, des deutschstämmigen Jesuiten Franz Magnis Suseno sowie ehemaliger Verfassungsrichter, Widodo zu einem Veto gegen das verabschiedete Gesetz zur Schwächung der KPK zu bewegen.
Turbulente zweite Amtszeit des Präsidenten?
Die Demonstrationen könnten der Vorgeschmack auf eine turbulente zweite Amtszeit des Präsidenten sein. Mit dem Geistlichen Ma'ruf Amin als seinem Vize hat der zu Beginn seiner ersten Amtszeit noch als Korruptionsbekämpfer und "indonesischer Obama" gefeierte ehemalige Möbelfabrikant den fundamentalistischen Islam ins Zentrum der Macht geholt.
Der 76-jährige Ma'ruf ist Vorsitzender des halbstaatlichen Indonesischen Rates der Islamgelehrten (MUI), der höchsten theologischen Instanz des Landes; er wird diesen Posten auch als Vizepräsident behalten. Im Blasphemieverfahren gegen den früheren Gouverneur von Jakarta, Basuki "Ahok" Tjahaja Purnama, war Ma'rufs Aussage der entscheidende Faktor, der zur Verurteilung des beliebten christlichen Politikers zu zwei Jahren Gefängnis führte.
Der fundamentalistische Islam nutzt die Demokratisierung Indonesiens seit dem Sturz von Diktator Suharto (1967-1998) für sein Ziel, das größte muslimisch geprägte Land der Welt zu einer Nation auf Basis der Scharia zu machen. Von den rund 265 Millionen Einwohnern Indonesiens gehören etwa 88 Prozent der Religion Mohammeds an.
Land galt als Musterbeispiel für torelanten Islam
Lange galt das Land als Musterbeispiel für einen toleranten Islam.
Richtig in Fahrt aber kam der islamistische Kampf gegen die "Pancasila" genannte Präambel der Verfassung, die Indonesien als säkularen Staat mit Religionsfreiheit definiert, unter Präsident Susilo Bambang Yudhoyono (2008-2014). Seit dieser Zeit tragen immer mehr Frauen das Kopftuch, wächst der Einfluss Saudi-Arabiens, das Schulen und Universitäten finanziert, an denen Salafisten den Ton angeben. Dem Vorgänger Widodos diente Ma'ruf Amin als enger Berater und Vertrauter. Soll dieser Mann nun die Geister, die man rief, im Zaum halten?
"Ma'ruf Amin ist gewissermaßen der Architekt der religiösen Intoleranz", sagte der Experte Andreas Harsono der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Leidtragende seien vor allem Christen als größte religiöse Minderheit sowie die muslimischen Minderheiten der Schiiten und Ahmadiyya, so der Autor des Buches "Rasse, Islam und Macht - Ethnische und religiöse Gewalt im Indonesien nach Suharto".
Den MUI bezeichnet Harsono als ein "Anti-Menschenrechtsgremium", das Intoleranz gegen Minderheiten fördere. Mit Ma'ruf werde der Einfluss dieses Gremiums in der Regierung gestärkt.
Gestiegene Zahl katholischer Abgeordneter
Kaum jemand in Indonesien hat die Hoffnung, dass das neue Parlament ein Bollwerk gegen den fundamentalistischen Islam wird. Die Volksvertretung gilt als korrupt und faul. Nach Angaben der Initiative Indonesian Parliament Watch (IPW) des Katholiken Lucius Karus wurden in der Legislaturperiode 2014 bis 2019 nur 36 der 189 Gesetze mit dem Label "höchste Priorität" verabschiedet. Im Vorgängerparlament seien es noch 69 gewesen.
Gestiegen ist die Zahl der katholischen Abgeordneten, von 18 auf 29. Pater Paulus Christian Siswantoko, Exekutivsekretär der bischöflichen Kommission für Laien, geht davon aus, dass die Indonesische Bischofskonferenz die katholischen Politiker zu regelmäßigen Gesprächen einladen wird.
Unklar sind weiter Rolle und Macht des alten und neuen Präsidenten Widodo. Der von ihm abgesegnete Entwurf der Strafrechtsreform beschneidet die Versammlungs-, Meinungs- und Religionsfreiheit und stärkt die Diskriminierung von Frauen. "Der Präsident ist in erster Linie an der Wirtschaftsförderung interessiert. Andere Themen hat er nicht im Blick", sagt Harsono. "Bei der Strafrechtsreform ist er offenbar dem Rat von Ma'ruf gefolgt."