Nur wenige Bischöfe in Deutschland sind medial so präsent wie Franz-Josef Overbeck. Dabei leitet er mit Essen eine nur kleine Diözese. Aber der 55-Jährige hat noch ein paar "Nebenjobs", die ihn aufs politische Parkett und öffentliche Bühnen führen: katholischer Militärbischof, Sozialbischof, Vizepräsident der EU-Bischofskommission COMECE und Bischof des katholischen Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat. Seit zehn Jahren leitet Overbeck nun das Ruhrbistum.
Als "Mehrfach-Bischof" kommt er nicht ohne Managerqualitäten aus. Da dürfte es ihm nicht geschadet haben, in einer Unternehmerfamilie aufgewachsen zu sein. Der aus Marl im Bistum Münster stammende Geistliche gilt als ein Intellektueller, der moderne Kunst, Theater und Oper liebt - das Fernsehen aber nicht. Sechs Jahre studierte er in Rom. Dort empfing Overbeck vom damaligen Kardinal Joseph Ratzinger 1989 die Priesterweihe. Der spätere Papst Benedikt XVI. machte ihn auch 2007 zum Weihbischof in Münster. Zweieinhalb Jahre später, am 20. Dezember 2009, wechselte Overbeck an die Spitze des Ruhrbistums.
Über die Jahre verändert
Zunächst vertrat er eher konservative Positionen. Wenige Monate nach seinem Amtsantritt in Essen entfuhr ihm in der ARD-Sendung "Anne Will" der Satz, dass Homosexualität Sünde sei. Gemeint war nicht die Neigung, sondern das Ausleben, wie er später klarstellte. Längst hat der Bischof in dieser Frage eine 180-Grad-Wende vollzogen. Nach Gesprächen mit schwulen und lesbischen Menschen sehe er inzwischen, dass sich die Kirche moraltheologisch weiterentwickeln müsse.
Auch auf anderen Feldern befeuert er die kirchliche Reformdebatte. "Kann man zum Beispiel an einem Y-Chromosom den Zugang zum Priesteramt festmachen, indem man das mit dem Willen Jesu begründet?", stellt Overbeck das Nein zur Frauenweihe infrage. Den Zölibat möchte der Bischof grundsätzlich beibehalten. Wo aber Geistliche fehlen, könne er sich verheiratete Priester vorstellen - wie etwa in Lateinamerika. Er habe sich verändert, bekennt der Bischof. "Wenn Sie mir heute bescheinigten, ich wäre noch derselbe wie vor zehn Jahren, dann empfände ich das als Niederlage."
Strukturreformen im Bistum
Angesichts der sinkenden Katholikenzahlen treibt Overbeck in seinem Bistum gravierende Strukturreformen voran. "Wir bewegen uns in einem viel zu großen Kleid", begründet er sein Vorgehen. Zählte die Diözese bei ihrer Gründung 1958 noch 1,5 Millionen Mitglieder, sind es heute rund 750.000. Bereits Overbecks Vorgänger Hubert Luthe und Felix Genn leiteten gegen teils heftige Widerstände Veränderungen ein: 2006 wurden 259 Gemeinden zu 43 Großpfarreien verbunden und 100 Kirchen aufgegeben. Overbeck blieb dabei nicht stehen. Bis Ende 2017 mussten die heute 42 Pfarreien Pläne vorlegen, wie sie bis 2030 ihre Ausgaben im Schnitt um rund die Hälfte reduzieren. 40 von derzeit rund 210 Kirchen sollen geschlossen werden. Weitere 31 werden als nicht unbedingt notwendig eingestuft, und noch einmal 48 Kirchen haben eine auf höchstens zehn Jahre befristete Standortzusage.
Mit Abbau will sich Overbeck aber nicht zufriedengeben. Daher initiierte er nach dem Motto "Verstehen statt Verurteilen" eine Kirchenaustritts-Studie, um zu klären, was Menschen aus der Kirche treibt und was dagegen zu tun ist. Zudem hat das Bistum in mehreren Foren 20 innovative Ideen entwickelt. Dazu gehören etwa Pop-Kantoren oder die Möglichkeit, Gottesdienste zu bewerten und so zu verbessern.
Anwalt der Arbeitnehmer
In dem sich sozial wandelnden Ruhrgebiet macht sich Overbeck zum Anwalt der Arbeitnehmer; so mahnte er jüngst sozialverträgliche Lösungen für die von Arbeitslosigkeit betroffenen Beschäftigten bei ThyssenKrupp an. Für Kinder, deren Eltern nachts arbeiten müssen, forderte er rund um die Uhr geöffnete Kitas.
Entspannung sucht Overbeck, der vor Jahren eine Krebserkrankung überstand, beim Lesen. Dabei steht nicht nur Theologisches an, sondern auch die Lektüre mehrerer Zeitungen. Einmal monatlich kehrt er in der Benediktinerabtei Gerleve ein. Die mangelnde Verkehrsinfrastruktur im Revier bietet ihm zuweilen auch Ruhepausen: "Ständig muss ich auf der A 40 unfreiwillig meditieren, weil ich nicht vorwärts komme."