DOMRADIO.DE: Auch das Bistum Münster ist vom Priestermangel betroffen. Bei Ihnen gab es an Pfingsten in diesem Jahr erstmals keine Priesterweihe. Wie frustrierend ist so eine ausgefallene Priesterweihe?
Hartmut Niehues (Regens und Leiter des Priesterseminars und Ausbildungsverantwortlicher für die Priester des Bistums Münster): Die Entwicklung kommt nicht überraschend. Ich habe schon vor einigen Jahren darauf hingewiesen, dass wir mit Blick auf die Zahl der Priesterweihen auf eine Nulllinie hinsteuern. Jetzt ist das bei uns im Bistum eingetreten. Aber Priesterkandidaten sind weiterhin bei uns im Bistum Münster unterwegs.
DOMRADIO.DE: Über die Ursachen kann man lange reden. Aber wie sehr setzen Ihnen auch die immer wieder neuen Enthüllungen über Missbrauch und Vertuschung zu?
Niehues: Das Gesamt-Klima ist natürlich zurzeit nicht günstig. Wenn ein junger Mann sich überlegt, Priester zu werden, überlegt er sich natürlich auch: In welcher Kirche tue ich das denn?
Aber wir haben auch keine Alternative, denn diese Dinge müssen aufgearbeitet werden und das Thema beschäftigt uns.
DOMRADIO.DE: Es gab in den 1990er Jahren forsche Kinowerbung für die katholische Kirche in den 1990er Jahren. Auch später gab es Versuche, den Priesterberuf cool wirken zu lassen. Aber mal andersrum gefragt. Vielleicht haben wir ja gar keinen Priestermangel, denn die Zahl der Gottesdienstbesucher und Kirchenmitglieder geht ja auch zurück.
Niehues: Die Zahl der Katholiken ist stark rückläufig. Das stimmt. Wenn Sie in die Sonntagsgottesdienst gehen, dann sehen Sie fast keine jungen Menschen. Insofern muss man sich nicht wundern, wenn kaum einer einen Ruf Gottes wahrnimmt.
Gleichzeitig gibt es aber auch andere Entwicklungen. Jetzt gerade aktuell zum Sommersemester haben bei uns zwei junge Männer neu als Priesterkandidaten angefangen. Das war eine ganz schöne Überraschung und das ist eine Ermutigung für alle, die auch schon auf diesem Weg unterwegs sind.
Wir brauchen Bilder, wie der Dienst als Priester auch künftig Freude macht und wie er erfüllt. Es gibt bei uns eine neue Internetseite mit Videoporträts von Priestern aus unserem Bistum. Da findet man dann genau solche Beispiele von Priestern, die gerne ihren Dienst tun. Ich glaube, dass das sehr ermutigend wirken kann.
DOMRADIO.DE: Sie haben gerade vom "Ruf Gottes" gesprochen, denn in der christlichen Überzeugung ist das eine Berufung durch Gott. Glauben Sie, dass es tatsächlich weniger Berufungen gibt oder hören die Menschen heute vielleicht gar nicht mehr den Ruf Gottes?
Niehues: Die, die wenig mit der Kirche zu tun haben, werden natürlich wenig aufmerksam dafür sein, dass Gott sie vielleicht rufen könnte. Ich bin schon überzeugt, dass Gott die Menschen ruft, die er braucht und sie für seine Kirche heutzutage haben möchte. Aber die Aufmerksamkeit dafür ist sicher eine geringere. Das glaube ich schon.
Ich habe eben von den beiden erzählt, die jetzt gerade als Priesterkandidaten angefangen haben. Der eine von beiden saß bei mir im Gespräch und sagte, dass er schon seit einigen Jahren als Theologiestudent unterwegs ist, aber es lässt ihn einfach nicht los. Und da merke ich, dass Gott tatsächlich auch heute wirkt.
DOMRADIO.DE: Was wäre denn ein Weg, um jungen Männern heute klar zu sagen: Das könnte ein Weg für dich sein?
Niehues: Wir brauchen eine Umkehr in der Kirche insgesamt. Wir brauchen auch Veränderungen in der Priesterausbildung. Wir haben in Münster ein neues Konzept entwickelt: Wer sich davon überzeugen möchte, ist herzlich eingeladen, am kommenden Samstag zu uns zu kommen. Wir machen einen Tag der offenen Tür am 3. Juni.
Unser Konzept der Ausbildung sieht vor, dass die Priesterkandidaten nicht abgesondert werden. "Gemeinsam Kirche sein" ist unser Leitgedanke. Darum gibt es bei uns eine ganz lebendige Hausgemeinschaft mit 60 Studierenden - Männer und Frauen in ganz verschiedenen Studienfächern, also Medizin, Jura, Lehramt, Sozialarbeit, Physik und so weiter. Darunter sind auch einige Theologinnen und Theologen. Davon wollen auch einige Priester werden.
Bei diesem Konzept verbindet uns die Frage, was Gott mit unserem Leben vorhat. Dieser Frage gehen dann alle - sicher auf ganz unterschiedliche Art und Weise - nach. Wenn Sie so wollen, sind wir so gesehen ein Haus der Berufungen. Ich glaube, dass das attraktiv für Leute ist, die sich die Frage stellen, ob sie Priester werden sollen oder nicht.
Die Priesterkandidaten erleben sich bei uns als Teil dieser Hausgemeinschaft, dieser Glaubensgemeinschaft. Sie erfahren sich als mitgetragen, natürlich manchmal auch als angefragt.
DOMRADIO.DE: Die meisten Priester leben heutzutage allein in einem sehr großen Pfarrhaus, müssen sehr große Pfarreien betreuen, hetzen von einem Termin zum nächsten. Wie nehmen Sie denn denen die Sorge, die befürchten, dass sie später als Priester alleine in einem riesigen Haus leben müssen?
Niehues: Ich unterstütze sehr die Wünsche von Priestern, gerade auch von jüngeren Priestern, gemeinsam zu leben und dann möglicherweise in größeren Räumen tätig zu sein, aber eben einen gemeinsamen Lebensmittelpunkt zu haben.
Wir brauchen aber auch ein Umdenken in der Kirche insgesamt, sodass wir uns nicht als Seelsorge-Konzern verstehen, der seelsorgliche Dienstleistungen anbietet. Vielmehr brauchen wir ein neues Miteinander als Glaubensgemeinschaft aller Getauften, dieses "Gemeinsam Kirche sein". Da ist es wichtig, dass das auch ganz konkret an den Einsatzorten der Priester erfahrbar ist.
Das Interview führte Mathias Peter.