DOMRADIO.DE: Im Jahr 2013 erhielten Sie einen Brief aus dem Vatikan, ob Sie sich vorstellen können, einen Film mit und über Papst Franziskus zu drehen. Da muss Ihnen klar gewesen sein, dass es eine Art Auftragsarbeit sein würde, bei der es vielleicht doch gewisse Grenzen gibt. Warum haben Sie trotzdem zugesagt?
Wenders: Weil das so nicht stimmt. Die wollten eben keinen Auftragsfilm. Er sollte weder finanziert noch kontrolliert werden. Es gab auch nicht die geringste Idee, was für ein Film das werden sollte. Den musste ich schon selbst schreiben, unabhängig produzieren und finanzieren. Sie wollten es nur initiieren und ich hätte auch keine Auftragsproduktion gemacht. Das wäre auch unglaubwürdig gewesen. Und das wussten die im Sekretariat für Kommunikation des Vatikans ganz genau.
DOMRADIO.DE: Nun haben Sie mehrere Stunden mehrfach den Papst interviewen dürfen. Wie ist Papst Franziskus Ihnen denn persönlich begegnet?
Wenders: Er ist erstmal beachtlich unkompliziert und unglaublich freundlich und herzlich. Er macht schon gleich beim Reinkommen klar, dass man ist, wie jeder andere. Er hat jeden mit Handschlag und ein paar Worten begrüßt und in die Augen geschaut. Da machte er auch keinen Unterschied zwischen den Elektrikern, den Produzenten und dem Regisseur. Damit hat er auch schon einmal klar gestellt: Hier sind tatsächlich alle gleich.
DOMRADIO.DE: Waren Sie aufgeregt vor dem Treffen? Haben Sie sich in irgendeiner Form vorbereitet?
Wenders: Man fragt sich schon, wie man ihn denn anredet. Ich hatte mir vorgenommen, das auf Spanisch zu machen. Wir haben schließlich auch die ganzen Gespräche auf Spanisch geführt, weil ich wusste, dass er sich dabei am wohlsten fühlt und er sollte sich schon mit seinen Antworten zu Hause fühlen. Auf Spanisch war die Anrede dann sehr einfach mit "Santo Padre".
Nervös war ich dann schon natürlich. Ich hatte ihn vorher noch nie gesehen und als er reinkam, war er ganz verdutzt, weil er nur seinen Stuhl sah. "Wo sitzen Sie denn?", hat er mich als erstes gefragt. Dann habe ich ihm erst einmal erklären müssen, dass ich nicht vor ihm sitze, dass wir zwar Auge in Auge wären, aber dass er auf diesen Teleprompter vor ihm schauen müsse, auf dem wir uns zwar gegenseitig gesehen haben, aber nicht unmittelbar gegenüber saßen. Da war die Technik dazwischen. Er hat aber dann sehr schnell begriffen, dass ich diesen Sitzplatz ihm gegenüber auf diese Weise für Stunden mit jedem teilen konnte, der in den Film geht.
DOMRADIO.DE: Das ist ja tatsächlich der Effekt: Man sitzt im Kino und hat das Gefühl, der Papst spricht jeden Einzelnen an. War das die Intention?
Wenders: Das habe ich im Verlauf der Arbeit herausgefunden. Ich habe gemerkt, dass er ein ganz besonders guter Kommunikator ist, von Mensch zu Mensch. Und dieses Privileg wollte ich nicht einfach verschenken. Wenn man schon den Papst treffen darf, dann doch bitte so, dass alle etwas davon haben. Das habe ich mir zumindest so vorgestellt. Und dann habe ich die Technik dazu erfunden und er hat sich darauf eingelassen.
DOMRADIO.DE: Es gibt eine Szene, die Ansprache des Papstes an Weihnachten 2014, da liest er seine eigenen Kurie ganz gehörig die Leviten. Er schimpft sie "Kirchenfürsten" und spricht von einem "Krebsgeschwür" während gleichzeitig die Kamera an den Kardinälen vorbeifährt. War das Ihre Art die Kritik, die innerkirchlich dem Papst entgegen bläst, auch in den Film einzubringen?
Wenders: Diese Szene ist sehr vielschichtig. Die Kurienvertreter sind zum Teil ganz schön betroffen. Was er ihnen da vorhält, geht ans Eingemachte: Habsucht, Gruppenbildung, Tratsch und alles Mögliche. Da sieht man einige, die ganz schön platt sind und einige, die denken: "Mensch, dafür haben wir dich gewählt, damit das endlich mal zur Sprache kommt!" Man sieht das beides.
Die Rede zu Weihnachten habe ich gelesen und sie ist mir damals schon aufgefallen. Wenn einer so mit seiner eigenen Regierung oder mit dem Obersten Rat der Kirche redet, dann meint er das ernst. Ich wollte natürlich die Rede in den Film einbauen. Und das war dann auch meine erste Frage an das Archiv: "Wurde diese Rede damals zu Weihnachten dokumentiert? Ist dabei gedreht worden?" Es kam heraus, dass tatsächlich gedreht wurde und ich durfte das Material sichten. Sie haben ihr Versprechen wahrgemacht und ich hatte Zugang zu allem, was im Archiv war und durfte auch alles schneiden. Es steckt natürlich eine gewisse Explosivität in der Szene.
DOMRADIO.DE: Es ist aber tatsächlich die einzige Szene, wo Sie auf die innerkirchliche Kritik am Papst eingehen. Haben Sie das bewusst nicht weiter ausgeführt, weil Sie eigentlich mit dem Film etwas anderes sagen wollen?
Wenders: Man kann sich zu jedem Film auch einen Parallelfilm vorstellen. Der "Spiegel" hätte sicher gerne einen kritisch-investigativen Film gehabt. Habe ich nicht gemacht. Als ich Kuba war, wollte ich auch keinen kritischen Film über das Regime machen, sondern die Musik der alten Herrn vom "Buena Vista Social Club" für sich selbst sprechen lassen.
Und wenn ich schon mit dem Papst selbst einen Film machen kann, dann sollte er möglichst selbst zu Wort kommen. Was ist eine kritische Herangehensweise im Vergleich zu der Möglichkeit, dass man dem Mann selbst zuhören kann?
DOMRADIO.DE: Was war denn persönlich die für Sie überraschendste Erkenntnis über den Papst nach der gemeinsamen Arbeit mit und über ihn?
Wenders: Überraschend war für mich, dass der Mann so einen Optimismus hat, einen nicht enden wollenden, positiven Optimismus, eine enorme Energie. Das kommt natürlich aus seinem Mut. Und der ist schier unerschöpflich. Er trifft ja tausende Menschen, geht in Gefängnisse, in Flüchtlingslager und trifft Politiker, die bestimmt auch Dinge sagen, die ihm nicht gefallen. Er hat jeden Grund, die Mundwinkel hängen zu lassen. Aber das tut er nicht. Er ist einfach unglaublich positiv. Und das hat mir am meisten imponiert.
DOMRADIO.DE: Sie sind in einem katholischen Elternhaus aufgewachsen und wollten sogar in jungen Jahren Priester werden, sind dann aber irgendwann aus der Kirche ausgetreten. Wie kam es zu dieser Entfremdung?
Wenders: Indem man 16 Jahre alt wird. Damals war ich in der katholischen Jugendbewegung und das hat mich interessiert, ich kannte auch beeindruckende Geistliche. Aber mit 18 Jahren war das dann vorbei. Da kamen der Rock'n'Roll und diese ganzen Jungs, angefangen von den Beatles bis zu den Rolling Stones. Das ist meine Generation und die haben mich dann einfach mit sich gerissen.
DOMRADIO.DE: Es war keine aktive Ablehnung der katholischen Kirche und ihrer Ideen?
Wenders: Das kam dann später. Im Jahr 1968 war ich 23 Jahre alt. Da war ich natürlich sozialistischer Student. Aber auch das vergeht.
DOMRADIO.DE: Kann Sie denn Papst Franziskus mit dieser Kirche wieder versöhnen? Hat Franziskus - und haben vor allem auch die Begegnungen mit ihm - etwas an Ihrer Haltung verändert?
Wenders: Er geht selbst mit seiner Institution hart ins Gericht und verweist oft auf das Evangelium und das Leben Christi. Es wird im Evangelium nichts dringender beschworen als die Solidarität mit den Armen und Ausgestoßenen. Und das ist ein neuer Ton in der Kirche. Die Kirche ist ja auch eine reiche Institution. Insofern muss man schon ein bisschen trennen zwischen dem, der diese Institutionen verändern will, weil er weiß, dass sie für das 21. Jahrhundert reformiert werden muss und der Institution selbst. Da gibt es genügend Leute, die das richtig finden, was er macht. Aber in vielen Teilen wehrt sich die Institution auch, das ist auch ganz normal.
DOMRADIO.DE: Aber in die katholische Kirche eintreten würden Sie seinetwegen nicht doch wieder?
Wenders: Er macht es zumindest wahrscheinlicher. Ich bin nicht grundsätzlich gegen die katholische Kirche. Ich bin zwar Protestant geworden, aber von der katholischen Erziehung kommt man nicht los, das hat man intus. Ich bin jetzt ökumenischer Christ und versuche, von beiden das Beste mitzukriegen. Aber manchmal bedauere ich es, dass das immer noch alles so zweigeteilt ist.
DOMRADIO.DE: Welchen Effekt sollte der Film im besten Fall beim Zuschauer haben?
Wenders: Im besten Fall wünsche ich das, was mir selbst passiert ist: Dass man bewegt ist und nicht mehr alles so hinnimmt, wie es läuft.
Wir leben in einer Zeit, in der die meisten politischen Führer ohne jegliches moralisches Bewusstsein oder Verantwortung handeln. Und da kommt dann so einer, der unseren Kompass wieder richtet und tatsächlich zeigt, wo es langgeht: Dass es um das Allgemeinwohl geht und dass man sich vielleicht auch eine andere Welt vorstellen kann als die, wo es immer nur um Wachstum geht und die viele Menschen hinter sich lässt. So eine Utopie am Leben zu halten, wünschen sich, glaube ich, viele Menschen.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.