Milad Mohammadi nimmt den Ball, drückt ihm einen Kuss auf, richtet den Blick gen Himmel und spricht ein kurzes Gebet. Der folgende Einwurf-Salto geht trotz Bitte an höhere Mächte daneben. Die Aktion des Iraners in der Nachspielzeit des WM-Spiels gegen Spanien sorgte ab Mittwochabend für Gelächter. Kreuzzeichen und Stoßgebete haben bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland jedoch Konjunktur - auch wenn für die Ballzauberer aus Brasilien ein offizielles Betverbot gilt.
Anders als bei früheren Weltmeisterschaften erlaubt der Trainerstab laut der Zeitung "O Globo" weder gemeinsame Gebete auf dem Platz noch im Mannschaftshotel. Man wolle damit unnötige Spaltungen im Kader vermeiden. Viele brasilianische Fußballer sind Mitglieder evangelikaler Pfingstkirchen; Katholiken sind in der Minderheit.
Religiöse Symbole werden kritisch beobachtet
Oft zeigten Spieler früher Stirnbänder oder Unterhemden mit religiösen Botschaften. So ist Superstar Neymar bekannt für sein Stirnband mit der Aufschrift "100 Prozent Jesus", das schon bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro für Aufregung bei IOC-Funktionären sorgte. Der Weltfußballverband FIFA sah sich bereits vor Jahren gezwungen, solche Botschaften bei der WM zu untersagen.
Der Freiburger Historiker und Fußball-Experte Franz-Josef Brüggemeier erklärt, die FIFA sei sehr konsequent damit, politische und religiöse Einflussnahme zurückzudrängen. "Aus europäischer Sicht erscheint uns manches recht rigide. Wenn aber religiöse Gesten für politische Einflussnahme genutzt werden, ist es nachvollziehbar, dies kritisch zu beobachten", so der Wissenschaftler.
Bei dieser WM fiel Neymar bislang weder durch Jesus-Schriftzüge noch durch Bestleistung auf; stattdessen stand seine neue Frisur im Fokus. Frankreichs Ex-Profi Eric Cantona verglich die blonden Locken des Brasilianers scherzhaft mit einer Portion Spaghetti. Doch bevor sich Spekulationen zu einem neuerlichen religiösen Bekenntnis - etwa der satirischen Glaubensgruppe "Fliegendes Spaghettimonster" - verbreiten konnten, postete Neymars Mutter ein Bild mit Sohnemann in neuem Haar-Style.
Gemeinsames Gebet um göttlichen Schutz
Bei früheren Weltmeisterschaften reisten mitunter evangelikale Pastoren als Seelsorger mit der Selecao. So nahm Abwehrspieler Lucio, der auch in der Bundesliga spielte, zu den Turnieren 2002, 2006 und 2010 seinen persönlichen Pastor mit. Es war üblich, dass die evangelikalen Spieler im Training und in der Kabine gemeinsam beteten. Andere Teammitglieder blieben bei diesen Gelegenheiten fern.
Inzwischen gelten striktere interne Regeln des brasilianischen Fußballverbands CBF. Das Privatleben der Spieler gehe den Verband nichts an, heißt es. Jedoch seien der WM-Auftritt und die Arbeit der Mannschaft von nun an "laizistisch". Dennoch werde man vor jedem Spiel in der Kabine gemeinsam um göttlichen Schutz für das Team bitten. Dies sei ein Brauch, der über der konfessionellen Zugehörigkeit der einzelnen Spieler stehe.
"Sache jedes Einzelnen"
Religiöse Gesten sind in Russland dennoch oft zu beobachten. Einige saudische Spieler halten vor dem Betreten des Platzes inne, mancher kniet nieder. Elfmeterschützen bekreuzigen sich. Für Frank Willmann, Buchautor und Experte für Fankultur, ist Religion Sache des Einzelnen. "Das hat für mich etwas mit Demokratie zu tun, dass es jeder Einzelne handhaben darf, wie er möchte", sagt er. "Man sollte es jedem überlassen, wie er seine Religion auslebt - solange er nicht mit Bomben wirft."
Unterdessen sah sich der Präsident des Nigerianischen Fußballfanclubs (NFSC) unlängst gezwungen, zu dementieren, dass Anhänger versucht haben sollen, lebendige Hühner zur Unterstützung mit ins Stadion zu nehmen. Rafiu Ladipo bezeichnete Berichte darüber als lächerlich. Und fügte hinzu: "Gebete sind der einzige Zauber, den wir haben."
Einer Szene nach einer anderen Partie wohnte ebenfalls einen Zauber inne: Belgier Romelu Lukaku und Panamaer Fidel Escobar beteten nach dem 3:0-Sieg der Europäer gemeinsam. Der Pressereferent für den Weltjugendtag in Panama 2019, Eduardo Soto, sagte dem Pressedienst CNA, dass Escobar evangelisch und Lukaku katholisch sei. Offenkundig kein Grund, den Glauben im russischen Fußballtempel nicht gemeinsam zu zelebrieren.