Gut 25 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion erlebt die Religion in orthodox geprägten Ländern Mittel- und Osteuropas einer Umfrage zufolge eine Renaissance. Die Zahl der bekennenden orthodoxen Christen in Russland habe sich zwischen 1991 und 2015 von 37 auf 71 Prozent nahezu verdoppelt, ergibt eine gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung in Moskau präsentierte Umfrage des US-Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center. Ähnliche Trends beobachteten die Forscher in anderen orthodox geprägten Ex-Sowjetrepubliken wie etwa der Ukraine.
Die Studie untersucht die Entwicklung der Religion in 18 Staaten in Mittel- und Osteuropa, die im Kalten Krieg kommunistisch regiert wurden. Dafür befragten die Meinungsforscher zwischen Juni 2015 und Juli 2016 rund 25 000 Erwachsene. Die meisten der Länder sind orthodox dominiert, in einigen wie Polen ist die Mehrheit katholisch.
Religiösen Wandel messen
Das Pew Center habe zuvor ähnliche Daten in anderen Weltregionen erhoben, sagte Alan Cooperman von Pew der Deutschen Presse-Agentur. "Ziel unserer Studien ist, religiösen Wandel zu messen und den Einfluss auf die Gesellschaft zu verstehen."
Die Erhebung untermauert einen Trend, der in der russischen Gesellschaft seit Jahren zu beobachten ist. Seit dem Ende der UdSSR, in der Religion unterdrückt wurde, erstarkt der Glaube als Teil der nationalen und kulturellen Identität wieder. So sehen etwa 57 Prozent der Russen der Umfrage zufolge die Orthodoxie als Kriterium für die Zugehörigkeit zur eigenen Nation. Noch ausgeprägter ist diese Auffassung demnach in Staaten wie Georgien, Serbien und Griechenland.
"Viele orthodoxe Christen sagen uns, dass ihre Religion vor allem eine Sache der nationalen Kultur oder der Familientradition ist und weniger des persönlichen Glaubens", sagte Cooperman. Das zeige sich auch daran, dass in orthodoxen Ländern zwar die Identifizierung mit der Religion zunehme, der regelmäßige Kirchgang und das Gebet aber auf einem niedrigen Niveau blieben.
Moralische Stütze der Staatsmacht Russland
Unter Russlands Präsident Wladimir Putin ist die russisch-orthodoxe Kirche eine wichtige moralische Stütze der Staatsmacht geworden. Regierungsgegner sehen die enge Verbindung zwischen Kirche und Staat kritisch. Mit mehr als 100 Millionen Anhängern ist das Moskauer Patriarchat die mit Abstand größte orthodoxe Glaubensgemeinschaft.
Entsprechend bestätigt die Umfrage eine führende Rolle Moskaus in der orthodoxen Welt. Demnach sagen 85 Prozent der Russen, ein starkes Russland sei notwendig, um den Einfluss des Westens einzugrenzen. Auch in anderen orthodox geprägten Staaten unterstützt eine Mehrheit der Befragten diese Meinung, darunter das EU-Mitglied Griechenland (70 Prozent), Serbien (80 Prozent) und Weißrussland (76 Prozent). Zudem findet eine Mehrheit in diesen Ländern, dass Russland orthodoxe Christen außerhalb seiner Landesgrenzen schützen sollte.
Einzige Ausnahme ist die Ukraine, wo lediglich 22 Prozent Russland als wichtigen Gegenpol zum Westen einstufen. Die Ukraine und Russland liegen seit Moskaus Einverleibung der Schwarzmeerhalbinsel Krim 2014 im Streit. Zudem wirft Kiew Moskau vor, mit Unterstützung für prorussische Separatisten eine Abtrennung der Ostukraine zu betreiben.