DOMRADIO.DE: Sie sind in den "World Council" der Organisation "Religions for Peace" gewählt worden – zusammen mit 79 anderen Vertreterinnen und Vertretern. Was bedeutet das Ihnen?
Margot Käßmann (Evangelische Theologin): Im Ruhestand wollte ich eigentlich keine Gremien mehr haben. Aber die Friedensfrage ist mir seit vielen Jahrzehnten ein Herzensanliegen. Ich denke, dass Religionen jetzt dringend zum Frieden beitragen müssen, weil sie doch allzu oft benutzt werden und sich benutzen lassen, um bewaffnete Konflikte zu verschärfen.
Wir sehen das zwischen Christen, Juden, Muslimen, den muslimischen Rohingya, Buddhisten - überall auf der Welt. Ich wünsche mir, dass der "World Council of Religions for Peace" wirklich ein Zeichen setzt, dass Menschen, die religiös geprägt sind, sich die Hand reichen können und friedlich miteinander leben können. Das sind wichtige Signale für unsere Welt.
DOMRADIO.DE: Wie oft kommt dieser "World Council" zusammen und was genau machen die einzelnen Mitglieder?
Käßmann: Das sind 80 Mitglieder, die einmal im Jahr zusammenkommen. Alle fünf Jahre gibt es diese große Versammlung. Es gibt auch die Idee, ob Lindau nicht vielleicht ein Ort sein könnte, der sich dadurch auch langfristig profiliert und nicht nur einmalig.
Ich denke, dass es einerseits darum geht, miteinander zu beraten, welche Statements abzugeben sind. Aber es geht auch darum - und das ist wahrscheinlich noch viel wichtiger - Menschen zu ermutigen, wirklich symbolische Handlungen auszurichten, Zeichen zu setzen und sich die Hand zu reichen.
Ich habe beim Aachener Friedenspreis einmal die Laudatio auf einen Bischof und einen Imam gehalten, die in Nigeria von Dorf zu Dorf ziehen und die Dorfgemeinschaft auffordern, sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen. Ich glaube, solche Menschen an der Basis müssen wir stärken.
DOMRADIO.DE: Das heißt, dass auch die kleinen Aktionen zu fördern sind, weil sie größere Denkrichtungen beeinflussen können?
Käßmann: Davon bin ich überzeugt. Dass nicht von oben her diktiert wird, was die Menschen zu tun haben, sondern, dass die Menschen in ihrer eigenen Kreativität unterstützt werden müssen. Es gibt eine schöne Studie im Rahmen der Stiftung Weltethos von Hans Küng, der ja schon seit Jahrzehnten sagt: "Es gibt keinen Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen."
Die Studie ist von Markus Weingardt und heißt "Religion Macht Frieden". Die Studie hat an 40 internationalen Konflikten gezeigt, dass religiös motivierte Akteure in den Konflikten vor Ort viel beitragen können. Und zwar, indem sie deeskalieren, weil sie vor Ort Vertrauen haben und die Kultur und die Religiosität der Menschen kennen. Deshalb möchte ich diese Menschen vor Ort ganz besonders stärken.
DOMRADIO.DE: In Lindau konnten Sie nicht dabei sein. Sie haben die Konferenz natürlich verfolgt. Neben vielen anderen Themen gab es auch die Frage, wie Frauen in Religionen insgesamt mehr Raum bekommen können. Es ist jetzt mit der aus Ägypten stammenden Niederländerin Azza Karam zum ersten Mal auch eine Frau an die Spitze der Nichtregierungsorganisation "Religions for Peace" gewählt worden, als Generalsekretärin. Wie finden Sie dieses Zeichen?
Käßmann: Ich finde, das ist ein sehr wichtiges Zeichen. Ich bin zu spät gefragt worden, als dass ich noch meine Termine hätte umwerfen können, um nach Lindau zu fahren. Sonst wäre ich gerne dabei gewesen. Aber beispielsweise hatten wir hier gestern Abend in Hannover eine gute Diskussion zwischen christlichen Frauen aus Indien, Lateinamerika, Afrika und Deutschland.
Es wird mir immer wieder so deutlich: Die "Religionsführer" in aller Welt sind doch Männer, die die Religion repräsentieren. Aber überall in der Welt werden die Religionen von Frauen getragen. Und Frauen sind in der Regel diejenigen, die versuchen zu vermitteln, den Konflikt nicht eskalieren zu lassen und für ihre Kinder zu sorgen, damit Gewalt ein Ende hat.
Das haben wir in Liberia ganz signifikant gesehen. Da waren es Frauen, die den bewaffneten Konflikt wirklich durch ihre Kreativität beendet haben. Frauen in den Religionen zu stärken und sichtbar zu machen, das wäre mir ein ganz intensives Anliegen.
DOMRADIO.DE: Können Frauen Frieden besser als Männer?
Käßmann: Das wird sich jetzt für manche Männer überheblich anhören, aber ich denke: ja. Wenn ich diese mordenden und vergewaltigenden Horden aus aller Welt sehe, die uns das Grauen eintreiben, dann sind in der Regel Frauen die Opfer.
Ich sage nicht, dass Frauen grundsätzlich die besseren Menschen sind, aber in den Kriegen und in Gewaltkonflikten dieser Welt sind sie Opfer. Und deshalb finde ich es auch wichtig, dass der Council hier in Lindau das Thema "Vergewaltigung als Kriegswaffe" thematisiert hat. Und auch die Frage nach stärkeren Gentests, damit Vergewaltiger in bewaffneten Konflikten auch tatsächlich zur Rechenschaft gezogen werden.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.