Als im November 2021 die Ampel ihren Koalitionsvertrag vorlegte, mussten die Kirchen erstmal schlucken. Das mit "Mehr Fortschritt wagen" überschriebene Papier ließ sich auch als "Mehr Trennung zwischen Kirche und Staat wagen" lesen. Sehr überraschend kam das nicht. Die vorangegangene Große Koalition war grundsätzliche Änderungen des Staatskirchenrechts nicht angegangen. Aus Sicht der neuen Koalitionäre von SPD, Grünen und FDP gab es eine Art Reformstau.
Und so setzten sie die Ablösung der historischen Staatsleistungen an die Kirchen und eine Anpassung des kirchlichen Arbeitsrecht ans staatliche auf die Agenda. Das Thema Religionsfreiheit und Christenverfolgung weltweit indes fand keinen Eingang mehr in den Koalitionsvertrag, während die Vorgängerregierung noch eigens das Amt eines Beauftragten für weltweite Religionsfreiheit eingeführt hatte - was auch während der Ampelzeit mit Frank Schwabe (SPD) als Beauftragtem weitergeführt wurde. Seine Amtsführung indes beurteilen Beobachter als eher blass.
Knappe Wertschätzung
Mit Blick auf muslimisches und jüdisches Leben in Deutschland schrieb die Ampel den ausdrücklichen Schutz in ihr Regierungsprogramm. Darüber hinaus formulierten die Koalitionäre recht allgemein und knapp: "Kirchen und Religionsgemeinschaften sind ein wichtiger Teil unseres Gemeinwesens und leisten einen wertvollen Beitrag für das Zusammenleben und die Wertevermittlung in der Gesellschaft. Wir schätzen und achten ihr Wirken."
Direkt gefolgt wurde das von einem zentralen verfassungsrechtlichen Vorhaben: "Wir schaffen in einem Grundsätzegesetz im Dialog mit den Ländern und den Kirchen einen fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen." Jährlich erhalten die Kirchen derzeit insgesamt rund 600 Millionen Euro von den Bundesländern als Entschädigung für widerrechtliche Enteignungen und Verstaatlichung von Kirchenbesitz vor 200 Jahren.
Streit zwischen Bund und Ländern
Die Ampel wollte endlich umsetzen, was seit 1919 Verfassungsauftrag ist und auch im Grundgesetz steht. Rechtlich müssen die Grundsätze, sprich die Rahmenbedingungen, für eine Ablösung auf Bundesebene festgelegt werden, während die konkrete Umsetzung und Zahlung der Ablösesummen in Milliardenhöhe den Ländern zufällt. Diese positionierten sich mehrheitlich gegen ein Ende der Staatsleistungen. Nicht zuletzt auch, weil sie wissen, wie viele kirchliche Angebote, die dem Sozialstaat zugute kommen - von Altenheimen über Schulen bis hin zu einem vielfältigen Beratungs- und Hilfenetzwerk - dann vermutlich wegfallen würden.
Die Kirchen selbst zeigen sich grundsätzlich offen für eine faire Ablösung. Die katholische Seite betonte zuletzt noch einmal, dass aber nur eine Lösung im Dialog gemeinsam mit Kirchen und Ländern sinnvoll sei. Der Hinweis richtete sich gegen den für diesen Herbst angekündigten Entwurf der Ampel für ein Grundsätzegesetz, das man nach Ansicht der Regierungskoalition auch ohne Zustimmung des Bundesrates verabschieden könnte.
Mammutprojekt wieder auf Eis
Fakt ist jedoch: Der Entwurf wurde nicht vorgelegt. Das Mammutprojekt, für das es keine Beispiele und Vorbilder gibt, liegt wieder auf Eis. Ein Vorschlag wäre laut Experteneinschätzung eine Kommission aus Staatskirchenrechtlern, Landes- und Bundespolitikern sowie Kirchenvertretern, die in Detailarbeit einen gangbaren Kompromiss ausarbeiten. Diesen könnten Bund und Länder dann in Gesetzesform gießen. Man darf gespannt sein, ob die nächste Bundesregierung die Idee aufgreift.
In Sachen Arbeitsrecht hatte die Ampel im Koalitionsvertrag im Grunde genommen nur einen Prüfauftrag formuliert: "Gemeinsam mit den Kirchen prüfen wir, inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann." Ausdrücklich ausgenommen sind "verkündigungsnahe Tätigkeiten". Gemeint sind damit kirchliche Kernberufe in der Seelsorge oder Religionslehrer.
Arbeitsrecht hinter verschlossenen Türen
Das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland wird auch als Dritter Weg bezeichnet. Es gewährt den Kirchen das Recht, ein eigenes System des Arbeits- und Tarifrechts zu schaffen. Es untersagt etwa Streiks. Es gilt auch für die kirchlichen Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie, die zu den größten Arbeitgebern in Deutschland zählen. Gerade auch die Gewerkschaft Verdi macht immer wieder bei dem Thema Druck.
Im vergangenen Jahr rief das Bundesarbeitsministerium einen Dialogprozess zu dem Thema ins Leben. Hinter verschlossenen Türen tagten Vertreter von Politik, Gewerkschaften und Kirchen. Zu den Ergebnissen äußerte sich die Bundesregierung nicht. Seitdem war von Ampel-Seite dazu quasi nichts mehr zu hören. Ein Ergebnis des Prüfauftrags blieb die Regierung schuldig.