Religionssoziologe analysiert Katholikentag in Leipzig

"Spitzenpolitiker sind Beifang"

Welche Menschen kamen zum 100. Katholikentag nach Leipzig und was war ihre Motivation? Aktuell läuft die Auswertung der Daten, die der Leipziger Religionssoziologe Gerd Pickel zusammengetragen hat. Im Interview gibt er erste Einblicke.

Vielfalt auf dem Katholikentag / © Jan Woitas (dpa)
Vielfalt auf dem Katholikentag / © Jan Woitas ( dpa )

KNA: Für Ihre Auswertung haben Sie Katholikentagsteilnehmer befragt. Wie lief das ab?

Gerd Pickel (Religionssoziologe): Mein Team stand mit Fragebögen an zwei zentralen Plätzen: Zum einen war es in der Oper, wo man eher das Publikum traf, das die großen, offiziellen Veranstaltungen besuchte. Zum anderen war es an der Katholikentagsmeile, wo sich eine andere Klientel aufhielt. Aktuell werden alle Ergebnisse erfasst. Insgesamt nahmen knapp 1.600 Besucher des Katholikentags an dieser repräsentativen Umfrage teil.

KNA: Was haben Sie abgefragt?

Pickel: Es gibt verschiedene Themenbereiche. Einer ist die Motivation, warum man kommt - daraus kann man vieles ableiten. Dann die Struktur der persönlichen Religiosität. Da zeigt sich, dass vor allem eher progressive und hochengagierte Katholiken kamen. Wir haben Fragen zu bestimmten Veranstaltungsformaten gestellt. Ergänzend kamen Fragen hinzu zum Engagement und zum Verhältnis zur Politik - das spielte bei diesem Katholikentag ja auch eine große Rolle.

KNA: Haben Sie auch nach der AfD gefragt?

Pickel: Ja. Die Auswertung der Ergebnisse liegt noch nicht vor. Aber aus Rückmeldungen wissen wir, dass es offenbar für die meisten Besucher nicht das Thema war und wohl auch nicht viele ein Podium mit der AfD vermisst haben. Mehrere signalisierten auch, dass sie eher genervt waren, dass das Thema AfD in der medialen Berichterstattung so dominant wurde. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass die vorrangige Motivation der meisten Katholikentagsbesucher ist, einfach bei diesem christlichen Großevent andere Gleichgesinnte zu treffen.

KNA: Politik ist also eher Nebensache?

Pickel: Bereits bei unserer Auswertung des Katholikentags in Regensburg 2014 hat sich deutlich gezeigt: Es sind nicht die Politiker auf den Podien, weswegen jemand zum Katholikentag kommt. Man nimmt sie - wie beispielsweise Bundespräsident, Kanzlerin oder Innenminister - gern mal als "Beifang" mit, wenn sich zufällig die Gelegenheit ergibt. Aber ob die jetzt da sind oder nicht, ist quasi irrelevant für die Entscheidung, zum Katholikentag zu gehen. Davon abgesehen gibt es aber natürlich ein Interesse an bestimmten politischen Themen. Vor allem Entwicklungspolitik ist für Katholikentagsbesucher immer sehr wichtig, weil viele Ältere aus den klassischen früheren entwicklungspolitischen Bewegungen wie Eine-Welt-Initiativen in den Gemeinden kommen.

KNA: Welche Themen ziehen noch?

Pickel: Diejenigen aus dem persönlich-religiösen und politischen Bereich, wie etwa Sterbehilfe. Dabei geht es um Themen, wo es eine Verbindung zwischen den eigenen Problemen oder Fragen sowie der Politik gibt. Schließlich ist einfach noch entscheidend, ob Podien gerade in die Tages- und Laufpläne der Besucher passen und dort sind, wo sie Bekannte treffen. Das muss man einfach so nüchtern feststellen.

KNA: Leipzig ist klare Diaspora, 80 Prozent Konfessionslose. Dieser Katholikentag wollte den Dialog mit ihnen suchen - hat das funktioniert?

Pickel: Im normalen Katholikentagsgeschäft kam es sicher kaum zu Kontakten. Aber es gab ja einen eigenen Schwerpunkt "Leben mit und ohne Gott", wo der Zugang für alle frei und gratis war - da vielleicht eher. Dem widmen wir einen eigenen Teil unserer Erhebung.

Für die meisten Leipziger war dieser Katholikentag im ersten Moment wohl etwas skurril, auf den zweiten Blick aber ein Ereignis wie jedes andere. Sie haben es relativ gelassen genommen. Man kann nicht erwarten - aber das hat wohl auch niemand -, dass die Konfessionslosen sich jetzt plötzlich alle mit Religion beschäftigen.

KNA: Wie haben Westdeutsche den Katholikentag in Ostdeutschland wahrgenommen?

Pickel: Ich könnte mir vorstellen, dass es ein paar Irritationen gab: Hochburg der Atheisten und dann doch so viele Kirchen in der Stadt. Aber ich glaube eher noch, das Aha-Erlebnis war für viele, überhaupt mal in den Osten zu kommen. Wir wissen aus anderen Studien, dass jeder zweite Westdeutsche noch nie im Osten war. Wahrscheinlich überrascht sie am meisten der gute und lebendige Zustand der Stadt. In Gesprächen mit Einheimischen wird den Besuchern aus dem Westen dann schon bewusst, dass hier ein anderes kirchliches Umfeld ist.

KNA: Manche hatten Sorge, dass der Katholikentag im atheistischen Umfeld nicht funktionieren würde, dass es zu Problemen kommt...

Pickel: Das hat sich überhaupt nicht bewahrheitet. Und das ist für künftige Katholikentage nicht ganz unbedeutend: Es ist nicht so wichtig, ob das Umfeld hochkatholisch ist. Für die Besucher ist vielmehr wichtig, dass der Ort gut erreichbar ist. Man ist da schon offen für neue Erfahrungshorizonte. Auch ein Katholikentag in Rostock würde funktionieren.

KNA: Zu den großen Gottesdiensten auf dem Augustusplatz kamen jeweils über 15.000 Menschen. Welche Wirkung hat das auf ostdeutsche Katholiken, die eigentlich nur die Minderheitensituation kennen?

Pickel: Für die ostdeutschen Katholiken ist das in der Tat vermutlich irritierend gewesen. Sie sind gewohnt, "klein" zu sein und nicht zu laut zu sein. Für sie war es sicher ungewöhnlich, dass Katholiken so offen und repräsentativ auftreten. Umgekehrt hat das ganz klar einen Identitätseffekt: Man fühlt sich zugehörig und sieht, dass es eben viele Katholiken gibt. Auch der Austausch mit Gläubigen aus dem Westen hat etwas Normalisierendes. Das alles hat einen bestärkenden Effekt für das Selbstwertgefühl, der nicht zu unterschätzen ist.

Das Interview führte Karin Wollschläger.


Bundespräsident Gauck in Leipzig  / © Hendrik Schmidt (dpa)
Bundespräsident Gauck in Leipzig / © Hendrik Schmidt ( dpa )

Bundesinnenminister Thomas de Maizière beim Katholikentag  / © Sebastian Willnow (dpa)
Bundesinnenminister Thomas de Maizière beim Katholikentag / © Sebastian Willnow ( dpa )
Quelle:
KNA