DOMRADIO.DE: Welche Entwicklung steckt denn hinter diesem Rückgang?
Prof. Dr. Michael N. Ebertz (Emeritierter Professor für Religionssoziologie in Freiburg): Es wurde jetzt zunächst einmal nach Vertrauen gefragt, ohne dass man genau weiß, was Vertrauen heißen soll oder wie die Menschen das jeweils aufgefasst haben. Viele haben mitgemacht, sicher auch die gewachsene Zahl von Konfessionslosen. Ich lege dieses Ergebnis nicht auf die Goldwaage, aber es zeigt ein Stimmungsbild, was wir durch andere Untersuchungen belegt haben.
An der Vertrauenskurve ist erkennbar, dass vor 2018 das Vertrauen angestiegen ist, was die katholische Kirche angeht. 2013 war der Antritt von Papst Franziskus. Da stieg die Vertrauenskurve bis auf 60 Prozent. Sie stieg auch bei der katholischen Kirche insgesamt an. Jetzt ist es so, dass die Vertrauensstimmung sowohl gegenüber dem Papst als auch gegenüber der römisch-katholischen Kirche am tiefsten Punkt der letzten Jahre angekommen ist. Man kann im Grunde sagen: Schlimmer gehts nimmer.
DOMRADIO.DE: Wie erklären Sie sich die vergleichsweise hohen Ergebnisse der evangelischen Kirche?
Ebertz: Die evangelische Kirche schneidet über die letzten 20 Jahre deutlich besser ab als die römisch-katholische Kirche. Sie hat ganz sicher auch keine so schlechte Presse, momentan hat sie eigentlich gar keine Presse, das heißt, sie kommuniziert öffentlich relativ verhalten. Aber auch die evangelische Kirche kommt auf ihren tiefsten Punkt der Vertrauenskurve. Die schwankte zwischen 50 und 30 Prozent. Jetzt hat sie nur noch 30 Prozent.
Übrigens ist auch der Islam in dieser Vertrauenszuschreibung am untersten Punkt angekommen. Interessant oder schade ist, dass man die Caritas oder die Diakonie nicht einbezogen hat. Bei anderen Befragungen zum Institutionsvertrauen schneidet etwa die Caritas weitaus besser ab als die Kirche, zu der sie ja gehört.
Die evangelische Kirche ist insgesamt modernitätsbewusster oder modernitätsnäher. Bei der katholischen Kirche klafft im Grunde permanent und immer größer die Kluft zwischen dem, was die Menschen eigentlich von ihr erwarten und was man auch an Erwartungen und an Hoffnungen erzeugt hat in den letzten Jahren.
Wenn man mal einen Augenblick überlegt, was Vertrauen heißt – Vertrauen heißt ja eigentlich, dass die berechtigten Erwartungen nicht enttäuscht werden. Die Kirche macht derzeit alles falsch, was man eigentlich falsch machen kann.
DOMRADIO.DE: Warum sind die Werte bei der Caritas deutlich besser? Woran liegt das auch im Vergleich zur Kirche selbst?
Ebertz: Die Caritas gehört zwar zur Kirche, aber die Caritas ist viel moderner, viel liberaler und viel professioneller. Sie hat ja sogar unter ihren Mitarbeitenden Nicht-Katholikinnen und -Katholiken, auch Nicht-Christinnen und -Christen. Sie ist auch multikultureller oder diverser angelegt, wenn man so will, also auch da gibt es eine größere Modernitätsnähe. Und bei der Caritas ist es so, dass etwa 80 Prozent der Mitarbeitenden Frauen sind. Das heißt, die Caritas hat kein Frauenproblem, während die katholische Kirche ein dauerndes über 100-jähriges Frauenproblem hat. Vor 100 Jahren hat man das schon gemerkt, dass die Frauen an Bedeutung gewinnen in der Gesellschaft.
Die katholische Kirche hat ein dauerndes Frauenproblem und sie enttäuscht permanent Erwartungen. Zum Beispiel, dass die Pfarreien immer größer werden, weil die Zahl der Priester immer kleiner wird. Oder damit, dass die Erreichbarkeit des Personals schlechter wird. Es wächst die Anonymität.
Dann streiten sich die deutschen Bischöfe öffentlich untereinander. Sie tricksen sich regelrecht aus. Es gibt auch keine gute Verständigung, keine vernünftige Verständigung zwischen den deutschen Bischöfen und Rom. Kardinal Kasper kritisiert die Führung der deutschen Kirche – alles öffentlich – und Bischof Bätzing umgekehrt den Führungsstil des Papstes. Die Bischöfe benehmen sich öffentlich nicht so, wie man eigentlich erwarten kann, dass erwachsene Menschen vernünftig miteinander umgehen.
Auch das Missbrauchsthema kriegt die Kirche nicht in den Griff. Im Grunde ist sie vor dem Tribunal der gesellschaftlichen Moral eigentlich deklassiert worden. Sie ist gescheitert.
DOMRADIO.DE: Was kann denn die katholische Kirche konkret tun, um jetzt wieder das Vertrauen zurückzugewinnen? Sie haben ja gerade schon auf viele Missstände aufmerksam gemacht. Was kann man denn jetzt konkret machen?
Ebertz: Man müsste vernünftiger miteinander umgehen. Man bräuchte, glaube ich, angesichts dieser unglaublichen Vielfalt und Gegensätzlichkeit in der Kirche einen gepflegten Ort der Verständigung. Ob das nun bei der Missbrauchsthematik eine Verständigung zwischen Täter und Opfer ist oder ob es überhaupt Orte sind, wo die Menschen, die an Kirche interessiert sind, sich ihre unterschiedlichen Kirchenbilder wechselseitig erklären und sich austauschen können.
Es bräuchte vor allem Entscheidungsstrukturen, also nicht nur Quatschbuden, sondern es bräuchte auch Orte, wo verbindlich entschieden wird für bestimmte Bereiche. Das kann durchaus ja heißen, dass in der katholischen Kirche in Deutschland die Uhren etwas anders laufen als etwa irgendwo in Afrika oder Lateinamerika. Warum sollte es denn nicht eine Kirche mit unterschiedlichen Modernisierungsgeschwindigkeiten geben? Es bräuchte Orte der gepflegten Kommunikation und der verbindlichen Entscheidungen.
Was wir momentan haben in der Kirche, ist eine unglaubliche Kakofonie. Jeder redet gegen jeden und durcheinander. Es bleibt kein Stein auf dem anderen. Es ist ein Chaosbild, was die Kirche von sich selbst erzeugt. Sie betreibt so etwas wie eine negative Aufmerksamkeitsökonomie. Es vergeht kein Tag, wo nicht in irgendeiner Weise irgendwas Negatives über die katholische Kirche zu lesen oder zu hören ist.
Das ist ja der zweite Punkt, es braucht neben diesen Orten der gepflegten Verständigung auch eine bessere Medienarbeit, eine Arbeit, die im Grunde auch den Menschen erklärt, warum etwas so und auch gegensätzlich ist. Da gibt es ganz viele Baustellen.
Das Interview führte Tim Helssen.