"Denn Mehrheitsverhältnisse haben die Tendenz, sich zu verstärken." Und erstmals stellten die konfessionell Gebundenen der beiden großen Kirchen in Deutschland nun nicht mehr die Mehrheit der Bevölkerung.
Der Seniorprofessor am Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster verwies im "Spiegel"-Interview darauf, dass der Anteil von Katholiken und Protestanten unter 50 Prozent gesunken sei. "Solange die beiden großen Kirchen die Mehrheit repräsentierten, hielten viele zur Kirche, ohne das groß zu hinterfragen", sagte er. "Wenn aber heute die Mehrheit nicht länger dazugehört, wird die Mitgliedschaft begründungsbedürftig."
Unterschiede in Ost- und Westdeutschland
Große Unterschiede gebe es in Ost- und Westdeutschland. "Der Westen erreicht den Kipppunkt gerade", erklärte Pollak, "noch immer sind etwa 60 Prozent Mitglied einer der beiden großen Kirchen, im Osten dagegen weniger als 25 Prozent - dort stellen die Konfessionslosen mit rund 70 Prozent klar die Mehrheit."
Mit dieser Entwicklung werde vieles zur Disposition gestellt: die Kirchensteuer, der Religionsunterricht, die Sendezeit im Öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Neben differenzierter, kenntnisreicher Kirchenkritik sei allerdings auch immer öfter "eine ressentimentgeladene und vulgäre Ablehnung des Religiösen" zu hören.
"Das ist ein kultureller Erdrutsch, der auch institutionelle Folgen haben wird", sagte Pollak.
Für die Kirchen gebe es jedoch immer wieder kleine Gelegenheitsfenster, betonte er: "In den Augen vieler leisten die Kirchen gute Arbeit, wenn es etwa um die Arbeit mit Behinderten geht oder um Hilfe für Arme und Schwache, um Beerdigungen oder die kirchliche Hilfe bei der Trauerbewältigung." Aber es schwinde "die Möglichkeit, diese große Tradition, den riesigen Bestand an sozialen Konventionen, den Schatz an Lebensweisheit und geistlicher Kommunikation zu bewahren. Da gibt es kein Zurück."