In den vergangenen Tagen waren rund 427 Millionen EU-Bürger aufgerufen, ein neues Europaparlament zu wählen. Die Wahlbeteiligung in Deutschland stieg nach Angaben des Bundeswahlleiters aus der Nacht auf 61,4 Prozent (2014: 48,1 Prozent). In der gesamten EU soll die Wahlbeteiligung zwischen 49 und 52 Prozent liegen. Die letzten Wahllokale schlossen um 23.00 Uhr in Italien.
Nach dem am Montag mitgeteilten vorläufigen amtlichen Ergebnis für Deutschland liegt die Union bei 22,6 Prozent, die SPD bei 15,8 Prozent. Gewinner des Abends sind die Grünen, die mit 20,5 Prozent ihren Anteil im Vergleich zu den vorherigen Wahlen fast verdoppeln konnten. Die AfD kommt auf 11 Prozent, die Linke auf 5,5 und die FDP auf 5,4 Prozent.
"Es lohnt einfach"
Overbeck sprach von einem pro-europäischen Ergebnis, die "sogenannte Angst vor der Überfremdung" nehme ab. Ein Wendepunkt in Europa sei in den bisherigen Wahlergebnissen beziehungsweise Hochrechnungen allerdings noch nicht zu erkennen. Den Befürwortern einer starken EU sagte Overbeck: "Es lohnt einfach, sich klar für das Friedensprojekt Europa zu positionieren."
Ähnlich äußerte sich der Hamburger Erzbischof Stefan Heße. Die Menschen hätten sich stark gemacht für Europa: "Und das freut mich." Mit Blick auf Europa-Skeptiker fügte Heße hinzu: "Es bleibt Aufgabe der politisch Verantwortlichen und auch jedes Einzelnen von uns, für die europäische Idee zu werben und sie erlebbar zu machen."
"Europa lohnt jede Anstrengung"
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) betonte: "Europa lohnt jede Anstrengung." Die Hochrechnungen für Deutschland kommentierte ZdK-Generalsekretär Stefan Vesper DOMRADIO.DE mit den Worten: "Ich zähle zusammen, welche Stimmen für Europa und für ein konstruktives Mitwirken am weiteren Aufbau von Europa zusammengekommen sind. Und da bin ich etwa bei vier Fünfteln." Zugleich zeigte sich Vesper erleichtert darüber, dass die AfD im Vergleich zur Bundestagswahl Stimmenverluste verzeichnen musste.
Der Spitzenkandidat der Christdemokraten, Manfred Weber (CSU), äußerte sich enttäuscht über das Abschneiden der Union. "Deutschlandweit hätten wir uns ein besseres Ergebnis gewünscht", sagte er im Bayerischen Fernsehen.
Der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Udo Bullmann (SPD), sagte: "Wenngleich die Resultate aus Deutschland enttäuschend sind, zeigt der europaweite Trend ganz klar: Die Menschen wollen einen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit." Die Spitzenkandidatin der Grünen, Ska Keller, begrüßte das "starke Ergebnis" für ihre Partei in Deutschland. "Diese Wahl ist ein gesamteuropäisches Signal für mehr Klimaschutz."
Jüdische Stimmen zur EU-Wahl
Nach der Einschätzung des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, wird die AfD allerdings absehbar "noch nicht aus den Parlamenten verschwinden". "Aber vielleicht sind die Resultate doch ein Signal dafür, dass ein Zenit überschritten wurde und ein Teil der Wähler erkannt hat, hinter wem sie da herlaufen, und sich diesmal anders entschieden hat", sagte Schuster am Sonntagabend dem Berliner "Tagesspiegel" in einem online veröffentlichten Interview.
Bei der Europawahl am Sonntag hatte die AfD bundesweit elf Prozent der Stimmen erhalten. 2017 bei der Bundestagswahl war die Partei auf 12,6 Prozent gekommen.
"Keine verändernde Mehrheit im Europaparlament"
Für das EU-Parlament sieht Schuster noch keine starke rechte Fraktion. Extrem rechte Parteien hätten zwar einen Zuwachs, aber auch künftig "keine verändernde Mehrheit im Europaparlament", sagte Schuster. Aus dem Wahlergebnis lasse sich keine Änderung der gesamteuropäischen Politik herauslesen. Aus den vorliegenden Zahlen lasse sich zwar eine stärkere rechte Fraktion erkennen, "aber noch keine starke Fraktion".
Schuster prognostizierte: "Die Rechten werden so isoliert sein, dass sie eine politische Kraft im eigentlichen Sinne im Europäischen Parlament nicht sein werden." Zugleich sagte er, dass Parteien des rechten Spektrums "nur sehr bedingt Interesse an Europa als Gesamt-Projekt" hätten.
"Projekt Europa nicht abgewählt"
Der Präsident der Konferenz Europäischer Rabbiner (CER), Pinchas Goldschmidt, zeigte sich am Montag erleichtert darüber, "dass das Projekt Europa nicht abgewählt" worden sei. "Der befürchtete extreme Rechtsruck in Europa ist ausgeblieben, doch wir müssen wachsam gegen die Feinde Europas bleiben."
Anstrengungen zum Schutz der Religionsfreiheit, für Sicherheit und Toleranz müssten fortgeführt werden. "Jetzt geht es darum, mit einem breiten proeuropäischen Bündnis die Zukunft Europas so voranzutreiben, dass auch künftig Religionsfreiheit, Sicherheit und Toleranz garantiert werden können", erklärte der Moskauer Oberrabbiner.
"Hier sind genauso alle Bürgerinnen und Bürger Europas beim Einsatz für Demokratie, Freiheit und Pluralismus gefordert. So muss etwa der Kampf gegen Antisemitismus, Islamophobie und Xenophobie als Aufgabe für uns alle begriffen werden – daran wird sich Europa in den nächsten Jahren messen müssen", so Goldschmidt.