DOMRADIO.DE: Halloween gilt als ursprünglich keltisches Fest, das in Irland entstanden ist. Was hat Sie dazu bewogen zu sagen: Das stimmt nicht?
Bernhard Maier (Professor für Allgemeine Religionswissenschaft und Europäische Religionsgeschichte an der Universität Tübingen): Es ist komplizierter, als es auf den ersten Blick aussieht. Allein, wenn man sich den Namen anschaut "Halloween" - das ist aus dem Englischen "All Hallows' Eve" und bedeutet so viel wie der Vorabend von Allerheiligen. Und Allerheiligen ist zunächst mal ein christliches Fest.
DOMRADIO.DE: Und wie kommen wir jetzt zu den Kelten?
Maier: Es ist so, dass in Irland schon im Mittelalter ungefähr um die gleiche Zeit, also um den 1. November herum, ein Fest mit dem Namen Samhain bezeugt ist. Dieses Fest gilt als Beginn der Winterzeit, wenn die landwirtschaftlichen Tätigkeiten zum Erliegen kommen und eine Art Ruhephase beginnt, die erst wieder im Frühling endet. Und im 19. Jahrhundert hat man sich vorgestellt, dass dieses Samhain-Fest den Beginn des keltischen Jahres bezeichnet haben könnte. Das gilt heute aber als ausgesprochen fraglich, es ist eine neuzeitliche Idee, die man heute in dieser Weise in Frage gestellt hat. Das ist der springende Punkt: Diese Übereinstimmung im Zeitpunkt ist möglicherweise zufällig. Es ist also nicht gesagt, dass das Allerheiligen-Fest irgendetwas mit vorchristlichen Wurzeln oder Ursprüngen zu tun hat, sondern es ist zunächst ein Fest der Heiligen und Märtyrer, und das war ursprünglich auch gar nicht auf den 1. November datiert. Das ist sekundär. Ursprünglich war das mal in der Nähe von Ostern angesiedelt; und es ist auch nicht in allen christlichen Kirchen auf den 1. November gelegt worden.
DOMRADIO.DE: Aber wie kommen wir dann zu der "Tradition", die wir heute feiern?
Maier: Wie gesagt, das ist eine neuzeitliche Vorstellung, die im 19. Jahrhundert entstanden ist, als man vermutet hat - wie übrigens auch bei anderen kirchlichen Festen -, dass hier ursprünglich heidnische Feste christianisiert worden seien. Es ist vor allen Dingen in der Zeit der Romantik ein beliebter "Sport "gewesen, die vorchristlichen oder vermeintlich vorchristlichen Ursprünge von neuzeitlichen Bräuchen wieder ausfindig machen zu wollen. In vielen Fällen ist man dabei übers Ziel hinausgeschossen und so wahrscheinlich auch bei Halloween. Denn was heute als Brauchtum verbreitet ist, ist vielfach erst im 19. und 20. Jahrhundert entstanden. Bei uns auf dem europäischen Festland und speziell in Deutschland ist vieles davon wohl letztlich aus den Vereinigten Staaten importiert worden, wo wiederum irische Einwanderer eine große Rolle gespielt haben. Aber da sind wir eben immer noch ziemlich weit weg von den antiken Kelten.
DOMRADIO.DE: Warum faszinieren alte keltische Bräuche die Menschen, auch wenn man sie fälschlicher Weise ins Heute transportiert hat?
Maier: Ich glaube, die Faszination erklärt sich zu einem guten Teil aus einer Art "Christentumskritik", auch Zivilisationskritik, Sehnsucht nach den Ursprüngen. Da bieten die Kelten jede Menge Projektionsfläche, weil man letztlich insgesamt sehr wenig über sie weiß. Nebenbei bemerkt - die Iren sind nicht einfach gleichzusetzen mit den Kelten. Also Irisch ist eine keltische Sprache, aber diese irische Einteilung des Jahres, ebenso wie das Samhain-Fest, sind spezifisch irisch, gar nicht allgemein keltisch.
DOMRADIO.DE: Die Iren haben es also nach Amerika gebracht. Der Trend ist aus den USA nach Deutschland herübergeschwappt. Wie ist das passiert?
Maier: Das ist wahrscheinlich Teil der Kommerzialisierung, muss man wohl sagen. Von den Süßigkeiten angefangen bis zu den Kostümen ist Halloween auch ein Wirtschaftsfaktor. Ich kenne das aus meiner Kindheit nicht. Das ist relativ neu. Es ist im eigentlichen Sinn auch kein religiöses Fest mehr, sondern sehr ins Spielerische abgewandelt worden.
DOMRADIO.DE: Wie sehen Sie als Religionswissenschaftler diesen Trend: Ein christlicher Brauch, den wir früher als "All Hallows' Eve" hatten, wird nicht mehr gefeiert, stattdessen gibt es nur noch Halloween?
Maier: Na ja, das steht wahrscheinlich im Kontext einer zunehmenden Säkularisierung. Die Religionswissenschaft ist in so einem Fall nicht normativ, sondern rein deskriptiv. Wir nehmen es wahr. Wie man sich dazu positioniert, das kann man unterschiedlich halten, aber es ist kein Bestandteil einer religionswissenschaftlichen Analyse. Es ist aber sicherlich etwas, das man auch sonst beobachten kann. Auch Weihnachten hat eine gewisse Art von Kommerzialisierung erfahren. Inzwischen werden manche anderen Feste im Grunde fast gar nicht mehr mit den kirchlichen Ursprüngen verbunden, die zum Teil auch gar nicht mehr bekannt sind.
DOMRADIO.DE: Wie feiern Sie Halloween heute?
Maier: Ich bin noch eine Weile im Büro. Mein jüngerer Sohn hat erklärt, dass er den Kürbis aushöhlt und schnitzt und dann mit einem Licht vor die Tür stellt. Wir halten zu Hause Süßigkeiten bereit, falls Kinder vorbeikommen und "Süßes oder Saures" einklagen. Anderweitig werde ich es eher nicht feiern heute Abend.
DOMRADIO.DE: Sie verteufeln es also nicht, sondern machen zumindest für die anderen mit...
Maier: Ich verteufle es nicht und habe auch Verständnis, wenn Kinder da ihren Spaß haben.
Das Interview führte Bernd Hamer.