DOMRADIO.DE: Sie waren Anfang April in Georgien und haben mit zahlreichen Vertretern aus Kirche und Politik gesprochen. Wie würden Sie die Lage in diesem Land beschreiben?

Pfarrer Prof. Dr. Thomas Schwartz (Hauptgeschäftsführer des katholischen Osteuropa-Hilfswerks Renovabis): Die Situation ist sehr angespannt. Sie ist davon geprägt, dass Gesprächskanäle in keiner Weise mehr genutzt werden. Die Regierung verweigert das Gespräch mit der Opposition. Die Opposition glaubt nicht an einen ernsthaften Dialog mit der Regierung und sie hat wohl auch gute Gründe dafür.
In einer solchen gespaltenen Gesellschaft ist es umso wichtiger, dass wir als Kirche zumindest Leuchtturmprojekte der Solidarität setzen, die zeigen, dass es letztlich nur gelingt, eine Gesellschaft nach vorne zu bringen, wenn man miteinander zusammenarbeitet. Das versuchen wir mit unseren Partnern zu verwirklichen.

DOMRADIO.DE: Menschenrechtsverletzungen, Einschränkungen der Pressefreiheit, Strafen für Demonstrierende. Kann man da “nur” von einer gespaltenen Gesellschaft sprechen? Das klingt fast ein bisschen neutral …
Schwartz: Es gibt immer einen Spalter und einen der gespalten wird. Natürlich hat die geopolitische Situation das ihre dazu beigetragen, dass ein Land, in dem ein Oligarch fast alles entscheidet, sicherlich nicht ein Protagonist von Liebkosungen gegenüber den Menschen ist. Das brauche ich, glaube ich, gar nicht nochmal deutlich zu machen. Das versteht jeder. Was unsere Partner uns mitteilen, ist die Sorge, dass es nicht bei friedlichem Protest bleiben könnte, sondern dass die Gewalt in einer Weise eskalieren könnte, wie das schon mal vor über 20 Jahren der Fall gewesen ist.

DOMRADIO.DE: Ihre Partner vor Ort, die katholische Kirche und die Caritas versuchen sich aus dem politischen Geschehen herauszuhalten. Warum?
Schwartz: Die Menschen, die bei der Caritas tätig sind, haben natürlich auch ihre politischen Einstellungen und die sind mitunter genauso differenziert und auch manchmal gegen die Regierung eingestellt, wie das in der ganzen Bevölkerung der Fall ist. Es ist zunächst einmal nicht Aufgabe der katholischen Kirche, das große Wort zu schwingen, zumal ihr nur ein Prozent der Bevölkerung angehört. Aber ich glaube, dass niemand, der gefragt würde, als Vertreter der Kirche für Spaltung das Wort zu reden würde, sondern es geht darum, deutlich zu machen, dass es auch anders geht. Es ist ja nicht so, als würde sich die Kirche in einem Ghetto verstecken, sondern sie ist ja in der Öffentlichkeit engagiert und in der Bevölkerung präsent. Das ist auch ein politisches Statement.
DOMRADIO.DE: Inwiefern könnte die politische Instabilität für die kirchlichen und sozialen Projekte zum Problem werden?
Schwartz: Das ist sie bereits. Denn jedes Projekt muss von Menschen verwirklicht werden. Und wenn Menschen auf die Straße gehen oder sich nicht mehr trauen, auf die Straße zu gehen, weil sie Angst um ihre berufliche Zukunft haben oder um ihr Leib und Leben, weil die Angst vor Strafen für eigentlich die Ausübung allgemeinster Menschenrechte wie das Recht der Versammlungsfreiheit haben müssen, dann wirkt sich das auch auf die Mitglieder unserer Kirche aus.
DOMRADIO.DE: Was bedeutet diese Entwicklung für die Finanzierung Ihrer Projekte?
Schwartz: Von unserer Seite haben wir da kein Problem mit unseren Partnern weiterhin vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Wir wollen natürlich alles tun, um unseren Partner auch die Möglichkeit zu geben.

DOMRADIO.DE: Renovabis ist ein katholisches Hilfswerk. Was geht uns diese Situation in Deutschland an?
Schwartz: Als Katholiken sind wir Weltbürger. Das, was dem schwächsten Glied unserer Kirche Schmerzen bereitet, kann den Stärksten nicht kalt lassen. Wir müssen solidarisch sein. Das ist nicht nur eine Nächstenliebe, sondern auch eine "Entferntenliebe", wo der entfernte Bruder, die entfernte Schwester uns zum Nächsten wird - damit dort auch Leben in Würde möglich ist. Der Herrgott wird uns irgendwann nicht fragen: Hast du es dir gut gehen lassen? Sondern was hast du getan, um deinem Bruder, deiner Schwester, den Menschen in Not tatsächlich ein besseres Leben zu ermöglichen?
DOMRADIO.DE: Was wäre Ihnen lieber, wenn jemand zehn Seiten über Georgien liest oder zehn Euro an Renovabis spendet?
Schwartz: Es wäre mir lieber, wenn er zehn Seiten über Georgien gelesen hat und dann 100 Euro spendet.

Information der Redaktion: Das Interview führte Elena Hong. Es entstand in Georgien während einer Reise mit dem Osteuropahilfswerk Renovabis.