domradio.de: Was hören Sie von ihren Kollegen aus Mazedonien? Wie erleben sie vor Ort die Situation?
Dr. Monika Kleck: Wir arbeiten in Mazedonien schon seit mehreren Jahren mit dem Jesuiten-Flüchtlingsdienst zusammen. Unsere Arbeit hatte sich bisher auf ein Asylzentrum in Skopje konzentriert. Doch seit mehreren Monaten ist das nicht mehr ausreichend. Man merkte schon vor einiger Zeit, dass immer mehr Flüchtlinge die Route durch das Land nehmen, um nach Serbien zu reisen. Zuerst war es den Flüchtlingen in Mazedonien verboten, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Die liefen dann an den Bahngleisen entlang und sehr viele wurden dabei überfahren. Das hat die mazedonische Regierung zum Umdenken gebracht. Sie haben dann Ende Juni ein Gesetz erlassen, dass die Leute mit einem 72-Stunden-Visum mit öffentlichen Verkehrsmitteln kostenlos durchs Land reisen können. Danach kam es dazu, dass täglich bis zu 2.000 Menschen registriert wurden, die durch das Land reisen wollen. Man geht davon aus, dass in den letzten zwei Monaten zwischen 39.000 und 44.000 Flüchtlinge durch Mazedonien gereist sind. In den letzten Tagen nahm die Zahl noch einmal zu, weil sich herumgesprochen hatte, dass Ungarn an einem Zaun zur Grenze nach Serbien baut und man dann nicht mehr über Ungarn weiterkommen kann. Daraufhin gab es schon am Bahnhof von Gevgelija - einer Grenzstadt zu Griechenland, in der die Leute in den Zug steigen - viele Tumulte. Nachdem jetzt gar nichts mehr ging, hat man den Notstand ausgerufen. Dadurch wird es möglich, dass das Militär an die Grenze geschickt wird. Militär und Polizei riegeln die Grenze jetzt ab. Man hat an der Grenze Stacheldraht hochgezogen. In der letzten Nacht haben sich da schätzungsweise zwischen 1.500 und 3.000 Flüchtlinge versammelt, die aus Griechenland nach Mazedonien wollen. Eine größere Gruppe daraus hatte offenbar beschlossen, einfach loszugehen, woraufhin die Polizei Tränengas und Blendgranaten eingesetzt hat.
domradio.de: Wie ist die Stimmung bei Ihren Kollegen, wenn so vorgegangen wird?
Dr. Monika Kleck: Sie sind ziemlich verzweifelt. Sie waren bisher schon verzweifelt, weil sie bei diesem Ansturm sowieso kaum helfen konnten. Aber immerhin konnten sie sowohl in dem Asylzentrum als auch an der Grenze eine Notversorgung einrichten. Da geht jetzt natürlich gar nichts mehr, weil die Flüchtlinge nun schon nicht mehr über die Grenze rüber kommen. Es verstößt gegen jede Grundsätze der Menschenrechte, Flüchtlingen, die aus einem Kriegsgebiet kommen, mit Blendgranaten zu beschließen. Gleichzeitig sehen natürlich alle, dass die Regierung in Mazedonien überfordert ist. Sie haben keinerlei Mittel und wissen nicht, wie sie mit diesem Ansturm von Flüchtlingen umgehen sollen.
domradio.de: Was fordern Sie nun vonseiten der Politik?
Dr. Monika Kleck: Ich denke, dass man sehr schnell mit der Regierung in Mazedonien ins Gespräch kommen muss, um einen Notfallplan zu machen und herauszufinden, wie man die Blockade an der Grenze aufheben kann. Man kann nicht auf Flüchtlingen schießen! Man hat zwar nicht mit Munition geschossen, aber Tränengas und Blendgranaten hinterlassen auch ihre Spuren. Das geht einfach nicht! Hier hat Europa eine Verantwortung. Die Regierung in Mazedonien braucht wirklich Hilfe, auch langfristige Hilfe, um die Flüchtlinge unterzubringen und zu versorgen. Im Prinzip wollen die Flüchtlinge ja nicht in Mazedonien bleiben, sondern durch das Land durch kommen. Man muss also mit allen anderen europäischen Ländern, auch Ungarn, schauen, wie die Flüchtlinge gerecht verteilt und untergebracht werden können. Es geht auch nicht, dass Ungarn einfach einen Grenzzaun errichtet. Die Flüchtlinge sind ohnehin in einer so verzweifelten Lage, dass sie nach wie vor kommen werden. Abschottung hilft in diesem Fall nicht. Es gibt auch Flüchtlinge, die schon Nummern von Schleusern haben, die angeblich helfen, den Zaun nach Ungarn zu durchschneiden. Die Flüchtlinge drängen nach Europa und man kann sich nicht abschotten. Durch Abschottung werden die Wege nur gefährlicher und die Situation eskaliert. Man muss tatsächlich schauen, wie man eine Unterbringung regelt.
Das Interview führte Silvia Ochlast