domradio.de: "Bleiben oder gehen?", das ist das diesjährige Motto der Renovabis-Pfingstaktion. Welche soziale Wirklichkeit steckt denn hinter dieser Frage?
Burkhard Haneke, (Geschäftsführer Renovabis): Wir machen uns glaube ich nicht klar, dass es seit vielen Jahren in Europa eine immense Migration von Ost nach West gibt.
domradio.de: Haben Sie da ein Beispiel?
Haneke: Ein kleines Land wie Litauen hatte im Jahr 1990 noch vier Millionen Einwohner. Seither haben eine Million Menschen das Land verlassen und in anderen Ländern, etwa in England oder Deutschland, Arbeit gesucht. Oder Bosnien-Herzegowina: Ein Land, das durch den Krieg sehr stark in Unruhe geraten ist. Dort sitzt nach offiziellen Umfragen mindestens die Hälfte der Jugendlichen auf gepackten Koffern und wartet nur darauf, eine Chance zu bekommen, ihr Land zu verlassen.
domradio.de: Dieses Bild von den gepackten Koffern ist exemplarisch. Worin liegt der Zwiespalt der Frage: "Bleiben oder gehen?"
Haneke: Viele Menschen sehen in ihrer eigenen Gesellschaft keine Perspektiven zur Existenzsicherung mehr. Sie verlassen ihre Länder. Man kann sagen, es ist nicht nur eine Arbeits- sondern auch eine Armutsmigration, die dazu führt, dass die Menschen nicht bleiben, wo sie bleiben möchten. Wir von Renovabis sind dann nicht gegen Migration. Sondern es soll nicht so sein, dass Menschen zu Hause keine Perspektiven haben und deswegen ihr Land verlassen.
domradio.de: Wie sieht Ihre praktische Arbeit in Osteuropa aus?
Haneke: Auch dort habe ich wieder zwei Beispiele: In den Bergregionen in Nordalbanien haben wir ein Projekt der regionalen Förderung begonnen. In diesen sehr kargen Regionen werden Menschen von Spezialisten in Anbaumethoden, zum Beispiel im Kräuteranbau, angeleitet. Ihnen wird also etwas beigebracht, was vor Ort möglich ist und womit man auch Geld verdienen kann.
Oder: Die Familien dort bekommen kleine Ferkel, jedes Jahr eins. Diese werden dann aufgezogen und verkauft. So erhalten sie einen kleinen finanziellen Erwerb, der kann wieder investiert werden und die Menschen bleiben in der Region.
Ein anderes Beispiel ist ein Projekt in der Ukraine, bei dem Jugendliche eine eigene Berufsausbildung bekommen. Die Ausbildung findet statt in einem Berufsausbildungszentrum der Salesianer, die dort schon seit einiger Zeit sind und jetzt eine KFZ-Techniker-Lehrwerkstatt errichten wollen. Die Werkstatt liegt in der West-Ukraine; eine Gegend, in der sich aktuell Produktionsfirmen verschiedener Automobilmarken niederlassen. Dabei handelt es sich also um ein Projekt, das ganz gezielt ausbildet, damit junge Menschen vor Ort in ihrer Heimat einen Arbeitsplatz bekommen.
domradio.de: Heute feiern Sie den Abschluss der diesjährigen Pfingstaktion. Die Abschlussmesse findet im Bistum Görlitz statt. Können Sie schon Bilanz ziehen?
Haneke: Wir haben in Köln mit unserer Aktion begonnen. Eine finanzielle Bilanz werden wir erst Ende diesen oder Anfang nächsten Jahres ziehen können. An vielen Orten in Deutschland ist das diesjährige Thema in diversen Veranstaltungen diskutiert worden. Dass wir heute in Görlitz sind, hat einen hohen Symbolwert, denn Görlitz liegt im Dreiländereck; Deutschland, Polen, Tschechien. Die Gegend ist sehr stark von Migration geprägt. Im Gottesdienst heute haben wir zum Beispiel eine Firmung, bei der die Hälfte der Firmlinge aus Polen kommt.
domradio.de: Die bundesweite Kollekte geht heute an Renovabis. Wie wollen Sie die einsetzen?
Haneke: Das ist eine schwierige Frage. Denn die Kollekte hat eine Summe von ungefähr fünf bis sechs Millionen Euro - bundesweit. Natürlich haben wir kaum Projekte in dieser Größenordnung. Unsere Aktionen sind in der Regel kleiner. Das Geld wird dann in Projekte gehen, wie die, die ich gerade beschrieben habe. Darüber hinaus gibt es vielfältige Aktionen im pastoralen und caritativen Bereich; zum Beispiel in Kinder- und Altenheimen oder in der Unterstützung von Ordensgemeinschaften in osteuropäischen Ländern oder der Priesterausbildung. Es ist eine ganze Palette unterschiedlicher Projekte, die wir von Renovabis das ganze Jahr hindurch fördern.
Das Interview führte Verena Tröster.