Rezension zum Buch "Picassos Friseur"

Eine ungewöhnliche Freundschaft

Picassos Frauen, sein Werk, seine Wirkung: Zum 50. Todestag des Meisters werden viele Aspekte seines Lebens beleuchtet. Im Buch "Picassos Friseur" erzählt sein Parteigenosse Eugenio Arias über den berühmten "Zweitvater".

Autor/in:
Sabine Kleyboldt
Bronzestatue von Pablo Picasso  / © lucamarimedia (shutterstock)
Bronzestatue von Pablo Picasso / © lucamarimedia ( shutterstock )

Als Picasso seinen Landsmann Eugenio Arias 1945 kennenlernt, ist der Künstler seit einem Jahr Mitglied in Frankreichs Kommunistischer Partei: auch eine Geste in Richtung der Menschen in Spanien, wo Diktator Franco mit harter Hand regiert. Der 36-jährige Arias ist ebenfalls Exil-Spanier, Veteran des Spanischen Bürgerkriegs und als Friseur ein echter "Mann des Volkes".

Picasso wird 1947 Arias' Stammkunde in seinem Salon im südfranzösischen Vallauris. Der fast drei Jahrzehnte Jüngere kommt ihm nicht nur beim Rasieren und Haareschneiden ungewöhnlich nah: Die ungleichen Männer besuchen gemeinsam den geliebten Stierkampf, teilen spanischen Humor und Sehnsucht nach der Heimat; Arias nennt Picasso "Mi segundo padre" - "mein zweiter Vater".

Neuausgabe zum 50. Todestag

26 Jahre lang ist er "Picassos Friseur". Das gleichnamige Buch, das der Diogenes Verlag zum 50. Todestag des Künstlergenies als Neuausgabe veröffentlicht, erzählt Picassos Geschichte aus ungewohnter Perspektive. Es erschien bereits 2001 im Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch, wurde jedoch erweitert und auf den neusten Forschungsstand gebracht, wie der Schweizer Verlag betont.

Der Maler, Graphiker und Bildhauer Pablo Picasso (Archiv) / © Göbel (dpa)
Der Maler, Graphiker und Bildhauer Pablo Picasso (Archiv) / © Göbel ( dpa )

Außerdem schrieb der Künstler Andre Heller ein Vorwort: Er war es, der 1999 in Vallauris zufällig auf den neunzigjährigen Arias stieß. Die Autorinnen Melissa Müller und Monika Czernin übernahmen es, den betagten Mann an der Cote d'Azur aufzusuchen und sich Anekdoten und Details rund um Picasso haarklein erzählen zu lassen.

Aberglaube und Atheismus

So weiß Arias anfangs nicht, welche Überwindung seinen großen Kunden ein Haarschnitt kostet. Seit Jahren dürfen ihm nur seine Lebensgefährtinnen die Haare schneiden - Teil seines manischen Aberglaubens: Picasso fürchtet, dass, wer in den Besitz seiner Haare oder Fingernägel gelangt, Macht über ihn erhält - ähnlich wie Delilah, die Samson in der biblischen Geschichte allein durch einen Haarschnitt die Kräfte raubt.

Picasso hält alles an sich selbst, Haare, Nägel, getragene Kleidung, für göttlich und von Schöpferkraft durchflutet. Daher werden Haare und Fingernägel stets in Seidenpapier gewickelt und in Schachteln aufbewahrt. Ebenso hat Picasso panische Angst, mit Tod und Krankheit in Berührung zu kommen. Seit Jugendtagen fühlt er sich mitschuldig am Diphtherie-Tod seiner kleinen Schwester Conchita.

Arias dagegen ist ein Realist und Atheist ohne Allüren. Im Gegensatz zu Picasso, der Ehefrauen und Geliebte verschleißt, gibt es für ihn nur seine Simona und die Söhne Pedro und Luis. Der Friseur ist auch Zeuge von Picassos ewigem Ringen um neue Formen und Stilrichtungen. Dabei betätigt sich der Künstler auch - indirekt - politisch, etwa mit der Gestaltung des Plakats zum Weltkongress für Abrüstung und Frieden 1962. Die berühmte Friedenstaube ist bis heute Symbol gegen den Krieg.

Ein Vermächtnis für Pablo Picasso

Arias besteht darauf, den Meister gratis und bei ihm zu Hause zu behandeln. Dafür schenkt ihm Picasso öfter Zeichnungen, Lithografien oder Keramiken. Manchmal kommt Arias auch nur auf ein "Schwätzchen"; da wird über die "Corrida" (Stierkampf) gefachsimpelt und über Picassos Kritiker gelacht. "Arias, wenn du zu Besuch kommst, glaube ich immer, ich sei in Spanien", so Picasso.

Der Gefährte bleibt seinem "segundo padre" bis ans Ende treu. Und es ist Picassos Friseur, den seine Ehefrau Jacqueline in der Todesnacht herbeiruft. "Ich sprang sofort ins Auto und fuhr nach Mougins." Sie hüllen Picasso in eine schwarze spanische Capa, eine Art Überwurf, Symbol für Picassos Heimat, die er nun nie mehr sehen würde. Dann schließt Arias das Sterbezimmer ab, vor dem die Gendarmerie wacht. "Ich war der einzige, der ohne Erlaubnis aus- und eingehen durfte."

Später gründet Arias mit den zahlreichen Geschenken Picassos in seinem eigenen spanischen Geburtsort Buitrago ein Museum. Dies und das vorliegende Buch, zu dem er sich erst überreden lassen musste, seien sein Vermächtnis an Pablo Picasso, "der nie seine Wurzeln verleugnete, sich lebenslang in den Dienst der Kunst und der Kultur stellte, für den Frieden kämpfte, als Spanier lebte und starb", schreibt Eugenio Arias im Epilog. Picassos Friseur stirbt mit 98 Jahren im April 2008, 35 Jahre nach seinem väterlichen Freund.

Quelle:
KNA