Das Original misst nur 101 Zentimeter und stammt aus dem 15. Jahrhundert: eine Statue des heiligen Bartholomäus. In der linken Hand hält er ein Buch. Über seinem Arm hängt seine Haut samt Gesicht. Der Märtyrer blickt stoisch auf seine Betrachter hernieder.
Performancekünstler Abraham Poincheval hätte auch ein anderes Objekt für seine Aktion wählen können. An Heiligen- und Märtyrerstatuen herrscht im Museum für Kunst und Geschichte im schweizerischen Freiburg kein Mangel. Aber der Franzose hat sich für den biblischen Apostel entschieden, der eines der schlimmsten Martyrien überhaupt erlitt: Bartholomäus soll bei lebendigem Leib gehäutet worden sein.
Nach dem Vorbild der Original-Statue hat Poincheval eine gut drei Meter hohe und etwa eineinhalb Meter breite Holzskulptur anfertigen lassen, in die er sich am vergangenen Montag einschließen ließ. Im Innern kann er nur sitzen oder stehen, bewegen kann er sich kaum. Der Platz reicht gerade so, um die Notdurft zu verrichten.
Insgesamt will der Künstler 168 Stunden auf engstem Raum verbringen. Er verfügt über Wasser, komprimierte Nahrung, einen Ventilator und eine Trockentoilette. In Anlehnung an orthodoxe Ikonen ist der Innenraum mit Goldfolie ausgekleidet. Zudem ist eine Art Wärmebildkamera rund um die Uhr auf Poincheval gerichtet. Auf einem Bildschirm können Besucher die Umrisse des Mannes beobachten.
"Unruhe und Beklemmungsgefühle"
Und auch das ist Teil der Performance: Es ist sogar möglich, direkt mit dem Eingeschlossenen zu sprechen. Poinchevals Stimme klingt gedämpft. "Gut. Es sind ja erst 24 Stunden", antwortet er auf die Frage, wie es ihm gehe. "Es werden auch andere Phasen kommen. Momente, in denen Unruhe und Beklemmungsgefühle stark werden."
Der 50-Jährige weiß, wovon er spricht. Es ist nicht das erste Mal, dass er sich einschließt. 2017 verbrachte er im Pariser Palais de Tokyo eine Woche in einem Stein. Damals ging es ihm um eine symbolische Gegenüberstellung der Schnelligkeit des menschlichen Lebens und der Langsamkeit der mineralischen Welt.
Freiwillige und unfreiwillige Isolation
Die Installation in Freiburg war Teil einer Ausstellung, die sich dem isolierten Körper widmet. "Aus einer diachronen Perspektive", wie der Museumsleiter und Kurator Ivan Mariano erläutert. Diachron sei die Ausstellung, weil sie Kunstwerke aus dem Mittelalter und der Gegenwart zusammenbringe.
Schlüssel und Fußfesseln etwa seien Objekte einer unfreiwilligen Isolation. Weiter findet man in der Schau auf den Ur-Mönch und Wüstenvater Antonius und den Asketen Simeon, der drei Jahrzehnte auf einer Säule in Syrien verbracht haben soll. Aber auch auf Fotografien von Gefängnisinsassen aus der Wende zum 20. Jahrhundert gehören zum Programm.
Wichtige Elemente der christlichen Mythologie
Das Nebeneinander von gewählter und erzwungener Isolation wurde bewusst so komponiert. "Nach der Säkularisierung sind viele Klöster in Gefängnisse umgewandelt worden. Die Zellen waren ja schon da", sagt Mariano. Ob selbst gewählt oder durch Zwang - Isolation bedeute Emotion, Martyrium - und Meditation.
Derlei Sujets sind wichtige Elemente der christlichen Mythologie. Als im 4. Jahrhundert die Christenverfolgungen nachließ, geriet das Martyrium - für viele Gläubige bis dahin der direkte Weg der Christusnachfolge - außer Reichweite.
Ziel: Besondere Nähe zu Gott
Radikale Asketen suchten nach neuen Wegen, um die Leiden Jesu nachzuempfinden. Sie schotteten sich von der Gemeinschaft ab, zogen allein in die Wüste, wo sie sich ihren Emotionen aussetzten und den Körper mit Hunger, Hitze und Kälte konfrontierten.
In einer abgeschlossenen Höhle kämpfte Antonius mit Dämonen, also mit seinen dunkelsten, innersten Gefühlen. Und Simeon hatte es mit den Temperaturextremen der syrischen Wüste zu tun. Ziel dieser Praktiken war es, eine besondere Nähe zu Gott zu erlangen. Auch auf diese Vorbilder bezieht sich Performancekünstler Poincheval, während er im Innern der Bartholomäus-Skulptur weiter ausharrt.