Katholische Nachrichten-Agentur (KNA): Lettland feiert dieses Jahr 100-jähriges Jubiläum der Unabhängigkeit von 1918. Ist der Papst der Ehrengast?
Zbignevs Stankevics (Erzbischof von Riga): Der Hauptgrund seines Besuches ist nicht die 100-Jahr-Feier. Wichtiger finde ich den Jahrestag der 25 Jahre seit der Visite von Papst Johannes Paul II. in Lettland. Das gab damals einen geistlichen Impuls, und Franziskus will ihn erneuern. Damals waren wir an der Schwelle zu etwas Neuem. Jetzt sind wir in einer ähnlichen Lage: Wir sind zwar in der Nato und der EU und haben angeblich alles. Aber wir sehen, wie Europa strauchelt. Der Papst kommt, um Licht zu geben. Er geht an die Ränder, in die heißen Regionen der Welt. Und das ist auch hier im Baltikum, wo sich die Ost- und die Westkirche begegnen.
KNA: Welche Erwartungen haben Sie an den Besuch?
Stankevics: Ich habe die Hoffnung, dass der Papst Lettland einen neuen Impuls gibt. Er hat das Charisma, die Nöte der Menschen zu erkennen; zu erkennen, wo man die Kräfte und Energie bündeln soll. Und Franziskus hat das Charisma, in einer verständlichen Sprache zu sprechen, gerade zu aktuellen Themen und Problemen. Er wird die Herzen der Menschen hier berühren.
KNA: Vom Papstbesuch 1993 wird gesagt, dass er Lettland einen religiösen Aufschwung beschert habe. Was wird Franziskus hinterlassen?
Stankevics: Es wird auch darauf ankommen, wie viele Menschen tatsächlich zu den Gottesdiensten kommen. Es gibt Public Viewing; auch das Fernsehen will übertragen. Wir werden sehen, was die Presse schreibt. Es gibt Kritiker, die sagen, die staatlichen Gelder für den Besuch hätte man den Armen geben können. Meine Antwort darauf ist: Dann müsste man doch etwa auch die Museen auflösen und alle Exponate verkaufen, um das Geld mittellosen Menschen zu geben. Nach dieser Logik bräuchten wir ja gar keine Kultur. Wenn diese Kritiker die Oberhand gewönnen, würde jeglicher geistliche Impuls im Keim erstickt.
KNA: Der Papst feiert in Aglona einen großen Gottesdienst. Zuvor trifft er in Riga im lutherischen Dom auf Vertreter der Konfessionen.
Stankevics: Ja. In Sachen Ökumene erwarten wir eine Bestätigung, dass wir in die richtige Richtung gehen: also gute Beziehungen aufbauen und mit einer gemeinsamen Stimme gegenüber Politik und Gesellschaft sprechen; etwa beim Thema Religionsunterricht. Der soll künftig in Lettland kein verpflichtendes Wahlfach mehr sein, sondern ein freiwilliges Fach und am Mittag stattfinden. Das müssen die Religionsgemeinschaften ändern.
KNA: In Lettland ist jeder dritte Lutheraner; der katholischen Kirche gehören 22 Prozent der Letten an, etwas weniger der orthodoxen Kirche. Da ist sicher die konfessionsübergreifende Mahlgemeinschaft ein Thema.
Stankevics: Es gibt viele gemischtkonfessionelle Familien, die daran leiden, dass sie nicht an den Tisch des Herrn kommen können. Aber wir können das nicht selbst entscheiden. Dennoch müssen wir dieses Problem lösen. Dazu braucht es einen theologischen Dialog, um einen gemeinsamen Nenner auszuloten. Vielleicht wird das jetzt beschleunigt.