Rios Befriedungspolizei UPP steckt tief in der Krise

Favelas im Kreuzfeuer

Die Befriedung der großen Favela-Komplexe Rio de Janeiros droht zu scheitern. Zu Olympia gaukelte ein Mega-Polizeiaufgebot Sicherheit vor. Doch was wird nach dem Sportereignis passieren?

Autor/in:
Thomas Milz
Polizei in der Favela "Complexo do Alemao" in Rio / © Georg Ismar (dpa)
Polizei in der Favela "Complexo do Alemao" in Rio / © Georg Ismar ( dpa )

Man biegt von der Straße zwischen dem Flughafen und dem Olympiapark Barra rechts in eine Gasse. In den Asphalt gerammte Stahlträger versperren den Weg. Ein junger Mann nähert sich, in einer Hand einen Joint, in der anderen eine Pistole. Man wolle zur Kirche, sagt man. "Welche?" Man zittert. Die "catolica", die "katholische". Dann darf man weiter. Mitten in Rio, während Olympia.

Padre Henrique Jose da Rocha Coimbra, 31, steht in der Kirche "Sagrada Familia" vor hohen Gerüsten. Vor einem Jahr verletzten herabfallende Dachziegel bei einer Messe ein Baby und eine alte Frau. "Da hab ich die Kirche gesperrt." Man sei in einen Nebenraum ausgewichen. Das Leben hier ist eine Baustelle, und nicht nur innerhalb der baufälligen Kirchenmauern.

Kämpfe von Drogenbanden

Das Viertel Nova Holanda gehört zum Mare-Komplex, einem Elendsviertel mit 130.000 Einwohnern. Links neben dem Gotteshaus hat sich die Polizei hinter Mauern verschanzt. Rechts die Straße runter beginnt das Gebiet des "Terceiro Comando Puro", den Erzfeinden des "Comando Vermelho". Manchmal kämpfen die beiden Drogenbanden nachts, sagt der Padre. "Sie schleichen sich von hinter der Kirche an. Dann kommen die Schüsse."

Die Polizisten nebenan halten sich raus. Sie hätten ein Abkommen mit den gefürchteten Banditen. "Alle sind denen hier ausgeliefert"; sie verfügten über schweres Kriegsgerät. Eigentlich sollte hier die sogenannte Befriedungspolizei UPP längst die Kontrolle übernommen haben. Doch es herrscht Krieg.

Vor einer Woche, am 10. August, bog ein Fahrzeug der zu Olympia abgestellten "Forca Nacional" aus Versehen in eine Gasse der Mare ein. Eine App hatte die ortsunkundigen Soldaten statt ins Stadtzentrum hierher gelotst. Banditen schossen, ein Soldat starb. Das Militär reagierte. Bei zwei Aktionen in der Favela tötete man fünf Menschen. "Wenn die Presse nach Olympia weg ist, wird sich das Militär rächen", glaubt der Padre. "Ich sorge mich um die Anwohner."

Einige Kilometer weiter kann man im "Mare-Museum" einen mit Patronenhülsen gefüllten Plexiglaskasten bestaunen. Daneben hängen Gipsabdrücke von Einschusslöchern. "In der Mare kämpfen drei Drogenbanden mit paramilitärischen Milizen um die Vorherrschaft", erklärt Claudia Rose Ribeiro da Silva, Gründerin des Museums. "Aber schlimmer ist, dass einmal pro Woche die Polizei hier reinstürmt, mit Hubschraubern, Panzerfahrzeugen, und wild um sich schießt."

Dabei war die Mare in den 70er Jahren ein Hoffnungsviertel für arme Zuwanderer. Das Gebiet am Rand der Guanabara-Bucht wurde künstlich aufgeschüttet, man begrub dabei die Mangroven, die als Brutstätten von Krankheiten galten. "Jetzt", so sagt der Mitbegründer des Museums, Antonio Carlos, "sieht man uns Bewohner als die Seuche dieser Stadt." An den Zufahrten der Mare stehen derweil die Panzerfahrzeuge des Militärs und sichern die olympischen Fahrspuren.

Keine Befriedungspolizei mehr

Im Vorfeld der Fußball-WM hatten im März 2014 rund 3.000 Soldaten die Mare besetzt. Ein Jahr später rückten sie ab; die Polizei sollte übernehmen und UPPs einrichten. Zu Olympia sollte alles fertig sein. Doch die Finanzkrise Brasiliens brachte Kürzungen von 35 Prozent bei der Polizei. Bis heute gibt es in der Mare keine Befriedungspolizei.

Man wolle sich auf bereits besetzte Favelas konzentrieren, um dort "den Erfolg zu sichern", sagt Sicherheitssekretär Jose Mariano Beltrame, der "Vater" des UPP-Konzepts. Sein größter Erfolg war die Erstürmung des "Complexo do Alemao", einer riesigen Slum-Region mit 70.000 Bewohnern. Ende 2010 trieb das Militär mit Hubschraubern die Drogengangster vor sich her; die TV-Bilder gingen um die Welt. Danach übernahm die UPP dort die Kontrolle.

Jetzt gibt es fast täglich Schießereien mit den zurückgekommenen Gangs. Versprochene Verbesserungen für das Leben der Menschen seien ausgeblieben, sagt Padre Leandro da Silva Moreira, 35, von der im "Complexo" liegenden Kirche "Nossa Senhora de Guadalupe". Ihr Vertrauen in die Regierung sei weg. Das UPP-Konzept stehe komplett auf der Kippe und damit Sicherheitssekretär Beltrame, glaubt die Presse. Er werde nach Olympia das Handtuch werfen.

Ob man den olympischen Geist auch hier oben in der Favela spüre? Die Menschen seien mit "anderen Realitäten" beschäftigt, sagt Padre Leandro. "Nur wenn wir von hier oben auf das Stadion mit seinen Lichtern und Feuerwerken schauen, fällt uns ein, dass ja Olympia ist."


Padre Henrique Jose da Rocha Coimbra von Kirche in der Mare / © Thomas Milz (KNA)
Padre Henrique Jose da Rocha Coimbra von Kirche in der Mare / © Thomas Milz ( KNA )
Quelle:
KNA