Am Ende konnten weder der Papst noch das Christkind Manuel Noriega retten. Gejagt, belagert von der US-Armee, streckte Panamas entmachteter Diktator im Botschaftsgebäude des Heiligen Stuhls die Waffen. Ihren Sieg errangen die Verfolger mit einem apokalyptischen Weihnachtskonzert und einer der bizarrsten Militäraktionen seit den Posaunen von Jericho.
Lange hatte Noriega mit dem mächtigen Bruder im Norden gespielt. Ausgebildet in einem US-Trainingscamp, stand er jahrelang auf der Gehaltsliste der CIA, um Informationen aus Kuba, der sandinistischen Regierung Nicaraguas oder kolumbianischen Drogenkartellen zu beschaffen. Noriega war tüchtig. Man ließ es ihm durchgehen, wenn er umgekehrt sensible Informationen an Havanna verkaufte und mit den Drogenbossen von Medellin Geschäfte machte.
Vom Putsch zur Niederlage
Doch 1989 überreizte es Noriega. In Panama hatte er Wahlen verloren, es gab einen Putsch. Mit Gewalt hielt er sich an der Macht. Unterdessen wuchs in Washington der Druck auf Präsident George Bush, den anmaßenden Kleinfürsten in die Schranken zu weisen. So begann am 20. Dezember die Luftlandeoperation "Just Cause". Binnen vier Tagen war die panamaische Armee geschlagen. Die USA ahnten, Noriega könne in eine Botschaft fliehen, und sicherten einige Diplomatensitze. Die Apostolische Nuntiatur hatten sie nicht auf dem Radar.
Es war ein bisschen moralische Erpressung, als Noriega den päpstlichen Vertreter Jose Laboa Gallego an Heiligabend anrief: Wenn man ihn nicht aufnehme, werde er ins Ausland gehen und einen Guerillakrieg anzetteln. Laboa gab nach. Ein Wagen der Nuntiatur holte den Diktator an Heiligabend aus seinem letzten Versteck, einem Schnellimbiss.
Für den Kirchendiplomaten war das eine etwas schwierige Situation. Der Mann, auf den die US-Regierung ein Kopfgeld von einer Million Dollar ausgesetzt hatte, saß in der Nuntiatur. US-Außenminister James Baker erklärte, hier gelte keine diplomatische Immunität. Draußen rollten Panzer auf. Die Kurie in Rom feierte Christmette.
Festivallautstärke
Laboa versuchte Zeit zu gewinnen. Die Zusicherung eines politischen Asyls vermied er; am Weihnachtsmorgen traf er sich mit US-General Maxwell Thurman am Tor der Botschaft. Derweil hatten die Medien auf den Balkonen der umliegenden Hotels Posten bezogen. Um Lauschangriffe zu vereiteln, ordnete Thurman eine Lärmsperre an.
Das war die Stunde der 4th PSYOP, einer Spezialeinheit für psychologische Kriegsführung. Auf Humvees montierte Lautsprecherbatterien beschallten die Papstbotschaft in Festivallautstärke mit dem Armeesender. Waren es am 25. und 26. Dezember praktisch nur Weihnachtslieder, kam bald die Idee eines Wunschkonzerts - Soldaten konnten telefonisch Musikvorschläge machen. Eine später im Militärbericht veröffentlichte Auswahl umfasst 94 Titel, aus denen einfallsreiche Häme spricht:
"The Party's Over" von Twisted Sister ist dabei, "No Particular Place To Go" von Chuck Berry und "Give It Up" von K.C. and the Sunshine Band, "No More Mister Nice Guy" von Alice Cooper und "Gonna Tear Your Playhouse Down" von Paul Young; "Run Like Hell" (Pink Floyd), "Wanted Dead or Alive" (Bon Jovi), "Judgement Day" (Whitesnake), "Prisoner of Rock and Roll" (Neil Young), "Don't Close Your Eyes" (Kix), "You Shook Me All Night Long" (AC/DC) und schließlich "Crying in the Chapel" (Brenda Lee).
Das musikalische Martyrium
Zwei Tage und zwei Nächte dauerte das musikalische Martyrium. Am Morgen des 29. Dezember um 7.05 Uhr stellte der Soldatensender sein Programm wenigstens auf die normalen Charts um. Akustisch zu leiden hatte von allen Botschaftsinsassen am wenigsten vermutlich Noriega selbst. Sein Zimmer lag zum Innenhof, also relativ schallgeschützt, wenngleich winzig, ohne Klimaanlage, mit einem defekten Fernseher und einzig einer Bibel als Lektüre. Ab und zu kam Erzbischof Laboa und bekniete ihn zur Aufgabe.
Am 3. Januar feierte er die Messe in der Botschaftskapelle mit. Laboa predigte vom guten Schächer, der sich noch am Kreuz bekehrte. Noriega, heißt es, war erschüttert. Über die Ausweglosigkeit seiner Lage machte er sich keine Illusionen. Die Bibel in der Hand, verließ er am Abend die Botschaft. Draußen erwarteten ihn Festnahme, Verurteilung wegen Drogenhandel und Geldwäsche und Haft bis zum Lebensende.
Die "Noriega Playlist" ist heute für militärhistorische Freaks über Streamingdienste im Internet abrufbar. Als menschenrechtlich fragwürdige Zermürbungstaktik fand die musikalische Dauerdröhnung später Nachahmung unter anderem in Guantanamo.