Vor dem Papst und einigen der wichtigsten internationalen Religionsführern eine Rede halten, vor dem Kolosseum in Rom? Das dürfte auch für eine erfahrene Staatsfrau wie Angela Merkel etwas Besonderes sein. Am Ende eines dicht gefüllten Besuchstages in der italienischen Hauptstadt sprach die deutsche Bundeskanzlerin beim 35. Interreligiösen Friedenstreffen der Gemeinschaft Sant'Egidio vor der antiken Arena über die Facetten von Friedensarbeit.
Besuch des Kinderschutzzentrums der Päpstlichen Universität Gregoriana
Die zahllosen Konflikte weltweit ließen einen oft "an der Fähigkeit des Menschen zur Menschlichkeit zweifeln", so die CDU-Politikerin. "Aber wir dürfen nicht verzweifeln." Nur wer Frieden suche, werde ihn finden - auch wenn es schwer sei. Friedensarbeit sei leider "nicht immer von Erfolg gekrönt", so die Kanzlerin. "Aber sie ist möglich, auch wenn es schmerzlich lange dauert."
Begonnen hatte die deutsche Regierungschefin ihren Tag in Rom mit einem deutlichen Statement. Mit dem morgendlichen Besuch im bisherigen Kinderschutzzentrum der Päpstlichen Universität Gregoriana habe sie unterstreichen wollen, "dass die Wahrheit ans Licht kommen muss". Missbrauch müsse aufgearbeitet werden. Das Gespräch am neuen "Institut für Anthropologie" (IADC) - der Leiter und Psychologe Hans Zollner spricht auch vom "Institut für Safeguarding" - war auf Merkels Wunsch zustande gekommen.
Eindringlich habe sie auch nach strukturellen und rechtlichen Konsequenzen der IADC-Arbeit gefragt sowie nach Widerständen und Unterstützung in der Kirche. Die Übernahme rechtlicher wie moralischer Verantwortung durch Kirchenobere - auch mit Bezug auf aktuelle Debatten in Deutschland - war ebenfalls Thema.
Privatführung durch den Petersdom
Der Kanzlerin ist daran gelegen, dass die Glaubwürdigkeit der Kirchen als konstruktive und verlässliche Partner bei weltweiten Herausforderungen - ob Klima, Migration, Konfliktlösung oder humanitäre Hilfe - erhalten bleibt. "Es ging schon darum, wie man Bischofskonferenzen weltweit davon überzeugt, tatsächlich das auch zu tun, was man zu tun behauptet", so Zollner anschließend.
Nach dem Gespräch im IADC folgte eine gut 40-minütige Privatführung für die Kanzlerin durch den Petersdom. Begleitet wurde sie vom neuen Erzpriester, Kardinal Mauro Gambetti. Merkel kennt den früheren Generalkustos des Franziskaner-Minoriten-Konvents in Assisi, zumindest seit dieser ihr 2018 die "Lampe des Friedens" als Anerkennung ihres Beitrags für Frieden und Dialog in Europa verlieh.
Beim Gang durch die Peterskirche wird die Kanzlerin am Grab Johannes Pauls II. verweilt haben. Die frühere Ostdeutsche weiß dessen Beitrag für Europa zu würdigen. Sie selbst traf den Papst aus Polen persönlich 2003 noch als CDU-Vorsitzende. Selbst als Kanzlerin war Merkel häufiger als alle ihre Amtsvorgänger im Vatikan. Die knapp einstündige Privataudienz bei Franziskus war ihre fünfte - und gleichzeitig ihr Abschiedsbesuch. Sie selbst hatte dies zuvor so formuliert.
Lob für Rolle der Kirche bei der Bewahrung der Schöpfung
Neben dem Thema Missbrauch und Glaubwürdigkeit der Kirche sprachen Papst und Kanzlerin über den anstehenden Klimagipfel COP26 Anfang November in Glasgow. Franziskus selbst hatte am Montag fast 40 Religionsführer in den Vatikan geladen. Deren gemeinsam mit Wissenschaftlern erarbeiteten Appell für deutlich mehr Klimaschutz hatte der Papst dem COP26-Moderator Alok Sharma persönlich überreicht.
"Es ist für mich wichtig und ermutigend, dass die katholische Kirche bei der Bewahrung der Schöpfung eine so große Rolle spielt", bekannte Merkel nach ihren Treffen im Vatikan vor Journalisten. Bei ihrem kurzen Statement in der Aula des Campo Santo Teutonico, dem Friedhof der Deutschen und Flamen, würdigte sie eigens die jahrhundertelange deutsche Präsenz im Schatten des Petersdoms.
Arbeitsessen mit Mario Draghi
Als Noch-Bundeskanzlerin ist Merkel nicht nur eine vertrauenswürdige Kirche als gesellschaftlicher Player, sondern auch ein stabiles und ökonomisch starkes Italien in Europa wichtig. Das Arbeitsessen am Mittag mit ihrem italienischen Amtskollegen Mario Draghi war für Merkel ein Abschied, wie auch Antrittsbesuch - zumindest in Draghis Eigenschaft als Regierungschef in Rom.
Nachdem sie mit ihm als EZB-Chef bereits Krisen meistern konnte, sei in Italien nun unter Draghi "mit seiner zurzeit sehr inklusiven Regierung" manches auf den Weg gekommen, lobte die Kanzlerin bereits am Mittwoch bei einer EU-Konferenz in Slowenien. Von dort war Angela Merkel nachmittags nach Rom geflogen.
Überraschungsgast
Abends nahm sie als Überraschungsgast am Empfang der deutschen Botschaft beim Vatikan zum Tag der Deutschen Einheit teil. Es war ihr ein persönliches Anliegen. Berlins neuer Botschafter beim Papst ist ihr langjähriger Vertrauter und Mitarbeiter Bernhard Kotsch. Ihn empfahl sie den anwesenden Diplomaten, Kirchenmitarbeitern und Journalisten als verlässlichen, kompetenten und liebenswürdigen Dialogpartner.
Auch nach dem Treffen mit Draghi verteilte Merkel noch einmal Blumen: "Meine Liebe zu Italien werde ich sicher in ganz anderer Form noch leben können, wenn ich nicht mehr Bundeskanzlerin bin." Sie hoffe, noch einmal nach Rom zurückkehren zu können.
Das wird sie höchstwahrscheinlich können. Und falls Franziskus dann noch Papst sein sollte, könnte sie auch ihn noch einmal treffen. Im vatikanischen Gästehaus Santa Marta empfing der Argentinier bereits mehrfach ehemalige Staats- und Regierungschefs - ganz privat.