Rörig sieht Staat bei Aufarbeitung in der Pflicht

"Recht auf staatlich unterstützte Aufarbeitung"

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, fordert eine stärkere Verantwortungsübernahme des Staates bei der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt. Das gelte für die Kirche und Bereiche wie Sport und Schule.

Autor/in:
Birgit Wilke
Johannes-Wilhelm Rörig, Missbrauchsbeauftragter der Bundesregierung / © Harald Oppitz (KNA)
Johannes-Wilhelm Rörig, Missbrauchsbeauftragter der Bundesregierung / © Harald Oppitz ( KNA )

"Der Staat" stehe bei der Verfolgung noch nicht strafrechtlich verjährter Sexualstraftaten im kirchlichen Kontext "uneingeschränkt in der Pflicht", heißt es in dem am Mittwoch veröffentlichten Positionspapier. 

Konkret plädiert Rörig für eine gesetzliche Grundlage auch für die unabhängige Aufarbeitungskommission. Im Koalitionsvertrag haben sich SPD, Grüne und FDP bereits darüber verständigt, dass das Amt das Missbrauchsbeauftragten gesetzlich verankert werden soll. "Der Staat muss jetzt beweisen, dass er die unabhängige Aufarbeitung sexueller Gewalt ernst nimmt und alles dafür tut, damit diese unterstützt, kritisch begleitet und kontrolliert wird", so Rörig.

Was kann eine Aufarbeitungskommission leisten?

Die Kommission könnte auf diese Weise institutionelle Aufarbeitungsprozesse anstoßen und sie beratend begleiten, hätte aber auch konkrete gesetzliche Befugnisse zur Akteneinsicht und für Zeugeneinladungen. Derzeit kann sie lediglich Betroffene anhören und Rückschlüsse aus ihren Schilderungen ziehen sowie Studien in Auftrag geben. Weiter spricht sich Rörig für ein fraktions- und ressortübergreifendes politisches Begleitgremium auf Bundesebene aus.

Diesem Gremium solle die gestärkte Aufarbeitungskommission berichten und konkrete Empfehlungen aussprechen.

In seinem Positionspapier heißt es weiter, die katholische Kirche habe sich seit 2010 verbindlich und seit 2020 im Rahmen einer kirchenrechtlichen Ordnung normativ verpflichtet, grundsätzlich jede Missbrauchstat zur Anzeige zu bringen. Aufgabe der Länder sei es sicherzustellen, dass Ermittlungsbehörden jedem Verdacht und jeder Anzeige in "der gebotenen Weise" nachgehen könnten.

Das Amt des Missbrauchsbeauftragten

Das Amt des Unabhängigen Missbrauchsbeauftragten sowie den Runden Tisch Sexueller Kindesmissbrauch hat die Bundesregierung 2010 eingerichtet. Es war eine Reaktion auf das damals bekannt gewordene Ausmaß des sexuellen Kindesmissbrauchs in Einrichtungen und Institutionen. Das Amt wurde zunächst von der ehemaligen Bundesfamilienministerin Christine Bergmann ausgeübt. Seit Dezember 2011 war Johannes-Wilhelm Rörig Missbrauchsbeauftragter, am 30.03.2022 wurde er von Kerstin Claus abgelöst. (www.bundesregierung.de)

Symbolbild Missbrauch / © somkhana (shutterstock)

Werbung für rasches Handeln

Der Missbrauchsbeauftragte warb dafür, zügig zu handeln. Bundestag und Bundesregierung sollten noch in der ersten Jahreshälfte einen Referentenentwurf erarbeiten. Spätestens im kommenden Jahr solle auch die Aufarbeitungskommission gesetzlich verankert sein. Derzeit ist sie bis Ende 2023 befristet. Rörig selbst hatte bereits im vergangenen Jahr angekündigt, dass er sein Amt in dieser Legislatur niederlegen wolle. Zuletzt war von Ende Februar die Rede. Einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin für ihn steht allerdings noch nicht fest.

Von Politik und Kirche kam viel positive Zustimmung für das Papier.

Die unabhängige Aufarbeitungskommission betonte, sie unterstütze "ausdrücklich" das Anliegen, dass hierbei nicht ausschließlich der Fokus auf der katholischen Kirche liegen dürfe, sondern auch andere Gesellschaftsbereiche wie Sport, Schule, aber auch Familie einbezogen werden müssten. Eine gesetzliche Grundlage für die Arbeit der Kommission sei unerlässlich, damit sie bundesweit institutionelle Aufarbeitungsprozesse initiieren, anstoßen, begleiten, beraten sowie die Einhaltung konkreter Standards kontrollieren könne.

Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) betonte, das Papier werde in die Beratungen zu Stärkung und Weiterentwicklung der Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch in Deutschland einbezogen. Die Bundesregierung wolle Aufarbeitungsprozesse in gesellschaftlichen Gruppen wie Sportvereinen, Kirchen oder Jugendarbeit und auch von familiärer sexueller Gewalt aktiv fördern und begleiten.

Auch Bischofskonferenz begrüßt das Papier

Auch der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann, betonte, er sei dankbar für das Papier. Es biete "in der aufgeheizten Diskussion" nach der Veröffentlichung des Gutachtens im Erzbistum München und Freising eine sehr hilfreiche Klarstellung.

Bischof Stefan Ackermann / © Harald Tittel (dpa)
Bischof Stefan Ackermann / © Harald Tittel ( dpa )

Der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz erklärte, um sexuellen Missbrauch künftig zu verhindern, müsse man das Problem gesamtgesellschaftlich bekämpfen. Rörigs aktuelles Papier liefere erneut "wichtige Impulse, mit denen wir uns intensiv auseinandersetzen werden". Die Kirchen müssten die nötigen und längst überfälligen Schritte angehen. Der religionspolitische Sprecher der Union, Thomas Rachel, betonte, eine Aufwertung der Kommission könnte dazu beitragen, verbindlich Maßstäbe zur Aufarbeitung und Prävention für die verschiedenen Institutionen zu verankern.

Mit Blick auf eine Nachfolge Rörigs erklärte eine Sprecherin des Familienministeriums, zur Nachbesetzung habe der Betroffenenrat das Bundesfamilienministerium um Anhörung gebeten. Das Ministerium komme dem nach. Sehr zeitnah werde ein gemeinsamer Termin mit dem Betroffenenrat stattfinden. Dann werde dem Bundeskabinett ein Personalvorschlag unterbreitet.

Quelle:
KNA