DOMRADIO.DE: Anfang März haben Sie bereits eine Erklärung abgegeben, in der Sie sich bestürzt über das geäußert haben, was in der Ukraine geschieht. Und Sie wollen nicht als "Vertreter der Kreml-Politik angesehen, gedacht oder eingeordnet werden". Vertreten Sie zwei Monate später immer noch dieselbe Position?
Eugen Theodor (Pfarrer der russisch-orthodoxen Mariä-Schutz-Gemeinde im Bonner Stadtteil Bad Godesberg): Ja. Ich bin der Meinung, dass Kriege im 21. Jahrhundert überhaupt nicht mehr möglich sein sollten. Europa hat im 20. Jahrhundert zwei Weltkriege erlebt, sowohl die Ukraine als auch Russland waren betroffen. Es gibt keine Rechtfertigung mehr, noch Kriege zu führen.
DOMRADIO.DE: Jetzt unterstehen Sie aber als russisch-orthodoxer Priester dem Moskauer Patriarchat, von dessen politischer Haltung Sie sich klar distanzieren. Gibt es da einen Loyalitäts- oder Gewissenskonflikt für Sie?
Theodor: Da gibt es keinen Konflikt. In der Orthodoxie hat jede Gemeinde das Recht auf eine eigene Meinung.
DOMRADIO.DE: Sie schreiben in Ihrer Erklärung auch "es ist für uns völlig inakzeptabel, die Menschen nach ihrer Nationalität oder Herkunft unterschiedlich zu behandeln oder zu teilen. Wir freuen uns über alle, die in unser Gotteshaus kommen, gleich welcher Herkunft oder politischer Referenzen". Wie bunt gemischt ist denn Ihre Bad Godesberger Gemeinde?
Theodor: Hauptsächlich sind bei uns Gemeindemitglieder aus Russland, Kasachstan und der Ukraine.
DOMRADIO.DE: Wenn die Gemeindemitglieder aus der Ukraine und aus Russland kommen: Wie unterschiedlich sehen die Menschen den Krieg in der Ukraine?
Theodor: Wir haben bis jetzt zum Glück noch keine Probleme damit gehabt. Wir setzen uns für den Frieden ein. In der Kirche selbst ist es verboten, über politische Dinge zu sprechen. Und ich habe bisher auch keine Probleme in der Gemeinde gehabt, wo verschiedene politische Meinungen geäußert wurden.
DOMRADIO.DE: Und was sagen Ihnen die Gemeindemitglieder zu der Situation in der Ukraine? Gibt es da Ängste oder Sorgen?
Theodor: Natürlich haben zahlreiche Gemeindemitglieder Angehörige und Verwandte in Russland und der Ukraine. Viele haben durch den Krieg auch den Kontakt verloren. Das macht selbstverständlich allen Sorgen. Es gibt Mütter in der Gemeinde, die wissen, dass die Väter bereits seit mehreren Wochen verstorben sind und das ihren Kindern nicht erzählen können.
DOMRADIO.DE: Wie gehen Sie als Seelsorger mit diesen Sorgen und Nöten um?
Theodor: Wir versuchen den Menschen zu helfen, indem wir Sachspenden und Geldspenden sammeln. Eigentlich müsste ich fast 24 Stunden im Einsatz sein, weil jederzeit schreckliche Nachrichten kommen könnten. Die Leute rufen mich bei Tag und Nacht an, mit der Erwartung, dass ich erreichbar bin. Für mich als Seelsorger ist das eine zusätzliche Belastung. Aber ich kann damit umgehen - für mich ist es einfacher: Ich bin in Deutschland, hier gibt es keine Bomben, Gott sei Dank.
Deshalb versuchen wir einfach Unterstützung zu bieten. Die Kirche in Bonn ist für viele Menschen der erste Anlaufpunkt. Diejenigen, die ankommen, bekommen Infos und Beratungsgespräche. Wir helfen bei Behördenangelegenheiten, füllen gemeinsam Papiere aus oder geben Anträge ab.
Das Interview führte Martin Mölder.