DOMRADIO.DE: Im vergangenen Jahr musste Sankt Martin komplett ausfallen, zumindest im Bezug auf die Martinsumzüge. Bräuche wie das Singen an den Haustüren fanden ebenso nicht statt. Wie weh hat das getan?
Msgr. Robert Kleine (Kölner Stadt- und Domdechant): Schon sehr. Sankt Martin ist ein wunderbares Fest für Kinder und für Erwachsene. Man erinnert sich an die eigene Kindheit; es werden Laternen gebastelt; man singt die altbekannten Lieder und es ist eine Geschichte vom Teilen und der Solidarität, die gerade in unserer Zeit so wichtig ist und in einem Kontrast zu Halloween steht. Der heilige Martin ist der, der den anderen im Blick hat und füreinander sorgt. Dass das ausfallen musste, tat schon sehr weh.
DOMRADIO.DE: Laternenumzüge sind das eine, aber zu Sankt Martin gehört mehr. Wie läuft denn normalerweise das Martinsfest am Kölner Dom ab?
Kleine: Hier am Dom und in den Gemeinden wird natürlich die Geschichte von Martin erzählt oder sogar gespielt. Martin war zunächst einmal römischer Offizier. Er hat dann einem Bettler geholfen, indem er seinen eigenen Mantel genommen und ihn geteilt hat. Der Mantel war damals Zeichen von Martins Würde als Offizier. Deswegen hat er sich mit dem halben Mantel ein bisschen lächerlich gemacht. Die anderen werden ihn ausgelacht haben, aber Martin war es wichtig, wirklich etwas abzugeben, um dem Bettler zu helfen.
Im Traum ist der Bettler dann Martin erschienen. Und dieser Bettler, das war Jesus Christus selber, der dann Martins Mantel trug. Jesus sagte ja: ‘Was ihr dem geringsten meiner Schwestern und Brüder tut, habt ihr mir getan’. In seinem späteren Leben legte Martin das Schwert zur Seite. Vom Offizier ist er zum Mönch geworden und noch später sogar zum Bischof vom Volk gewählt worden, zum Bischof von Tour, und er war ein sehr beliebter Bischof.
Die Menschen in Tour haben sich so sehr gefreut, dass Martin sich in einem Stall versteckt hat. Dort waren Gänse untergebracht, die ihn durch ihr Schnattern verraten haben. Deshalb müssen sie bis heute um den Martinstag in den Restaurants dran glauben. An diesen 'Verrat' erinnert die Martinsgans. Und natürlich gibt es noch die Laternenumzüge, das durch die Straßen ziehen mit bunten Laternen. Damit erinnert man an die Freude der Menschen von Tour, die vielleicht auch gesungen und sich gefreut haben, als sie Martin aus dem Versteck im Kloster in ihre Stadt geführt haben.
DOMRADIO.DE: Auch eine Besonderheit an Sankt Martin sind die Weckmänner. Nach dem Umzug werden die verteilt. Den Unterschied macht die Pfeife. Was hat es damit auf sich?
Kleine: Die Weckmänner sind auch ein Symbol für den heiligen Martin. Und die Pfeife – inzwischen ist es in manchen Fällen ein Lutscher geworden - die Pfeife erinnert an Martins Bischofsstab. Das war der eigentliche Gedanke. Der Weckmann ist der Bischof Martin. Hier am Dom gibt es die richtigen Weckmänner, also mit Pfeife. Die werden nach dem Schlussgottesdienst allen Kindern überreicht. Darum kümmert sich eine Karnevalsgesellschaft, die Altstädter, die dem Kölner Dom sehr verbunden sind. Die spendieren auch die Weckmänner, sodass niemand teilen muss. Für jedes Kind ist einer da.
DOMRADIO.DE: Wie wird das Martinsfest am Kölner Dom in diesem Jahr ablaufen?
Kleine: Wir beginnen mit einem Gottesdienst um 17 Uhr im Dom. Natürlich mit Abstandsregeln und Maske. Dafür aber mit Gesang. In dem Gottesdienst wird dann das Martinspiel aufgeführt. Im Anschluss geht es raus auf den Roncalliplatz. Dort steht der Martin mit seinem Pferd und führt dann den Umzug an. Wir ziehen dann mit Abstand, Maske und Musikkapelle durch einige Straßen der Altstadt zur Kirche Groß Sankt Martin, die auch ihr Patrozinium feiert. Dort findet dann noch mal unter den Coronabedingungen ein kleiner Schlussgottesdienst mit dem Segen statt. Danach werden die coronakonform-verpackten Weckmänner für alle ohne Gedrängel verteilt.
DOMRADIO.DE: Ganz normal läuft es immer noch nicht. Aber wenigstens müssen die Martinszüge in diesem Jahr nicht wieder komplett ausfallen.
Kleine: Es ist ein kleines Zeichen von Normalität. Ich finde es so schade, wenn gerade diese wunderbare Tradition ausfallen müsste. Durch den Lockdown musste Anfang des Jahres das Sternsingen schon ausgefallen. Gerade in unserer Zeit ist es doch wichtig, sich an Menschen zu erinnern, die uns wie Martin ein Vorbild sein können. Gerade beim Thema der Nächstenliebe, wo nicht der Ellenbogen eingesetzt wird, sondern die Hand ausgestreckt wird. Auch wenn sich die Hände wegen Corona leider nicht berühren dürfen.
Das Interview führte Julia Reck.