Vor fünf Jahrhunderten schrieb schon einmal ein Wittenberger nach Rom. Leo X. solle nicht auf die "Ohrenbläser" hören, die ihm einredeten, er sei ein halber Gott und stehe über dem Konzil, ließ Luther den Papst wissen. Dessen Nachfolger Franziskus erhält freundlichere Zeilen aus der Reformationsstadt. Friedrich Schorlemmer sieht in der päpstlichen Umwelt-Enzyklika "Laudato si" einen "Trompetenweckruf" für die Welt. In einem ganzen Buch würdigt der evangelische Theologe aus Wittenberg das Lehrschreiben. An der Katholischen Universität (KU) in Eichstätt stellte er es jetzt vor.
"Laudato si" war vor genau einem Jahr veröffentlicht worden und hatte eine breite Debatte entfacht. Das Papier mit dem Titel aus dem Sonnengesang des heiligen Franz von Assisi, nach dem sich der Papst benannt hat, stellt Umweltfragen in einen Zusammenhang mit der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklung auf dem Globus. Der Markt darf nicht Vorrang vor dem Menschen haben, ein ungezügelter Kapitalismus bringt die Erde in Lebensgefahr, so die Botschaft von Franziskus.
Hoffnungsfanfare und Lockflöte
Schorlemmer macht sich diese Mahnung zu eigen. In seinem Buch "Unsere Erde ist zu retten - Haltungen, die wir jetzt brauchen", beschreibt er die Enzyklika als "Hoffnungsfanfare für menschliche Einsicht und Mitfühlsamkeit" und "Lockflöte in ein einfacheres, reicheres, gerechteres, unmittelbareres Leben". Eindringlicher hat kaum zuvor ein Protestant eine katholische Lektüreempfehlung abgegeben. Das Tun des Papstes, so der ehemalige DDR-Bürgerrechtler, ruhe in einer tiefen Spiritualität, in der er Welt und Gott zusammendenke.
Der Prolog des 160-seitigen Bandes, der im Verlag Herder erschienen ist, besteht aus einem "Brief aus Wittenberg nach Rom". Darin wendet sich Schorlemmer als "evangelischer Mitchrist und Pfarrer", der in Franziskus seinen "Mitbruder" erkennt und mit "großem Staunen wahrnimmt, wie Sie sich zu Elenden, zu allen Elenden, herunterbeugen". Zum Schluss des Buches ruft der 72-Jährige die Christen auf, ihre dogmatischen Streitigkeiten einzustellen - und plädiert für ein ökumenisches Konzil.
"Klärend statt belehrend"
Auch in Eichstätt bekundete Schorlemmer in warmen Worten seine "Freude über dieses Oberhaupt der Weltchristenheit". In dessen Art zu denken könnten sich alle Christen gemeint fühlen. "Laudato si" hebe keinen Zeigefinger, enthalte "nichts Belehrendes, sondern Klärendes", so der langjährige Prediger an der Wittenberger Schlosskirche. Franziskus zeige praktische Lösungen auf und sei kein "Vertreter einer religiösen Vertröstungsideologie".
Die Buchvorstellung fand nicht zufällig an der Altmühl statt, sondern bildete den Auftakt zu einer ganzen Veranstaltungsreihe. Mit Projektpartnern will die KU Eichstätt-Ingolstadt in den kommenden zwei Jahren "die Zielbereiche der Enzyklika erfassen, kontextualisieren und Lösungsansätze entwickeln". Gäste bei dem sogenannten Verbundprojekt sind neben anderen der Physiker Ernst Ulrich von Weizsäcker und der ehemalige Generalsekretär des Weltkirchenrats, Konrad Raiser.
Vergleich zwischen katholischem und lutherischen Denken
Schorlemmer sieht in der Enzyklika und im Wirken des Papstes auch eine Chance für die christliche Ökumene. Es sei "wunderbar", dass Franziskus ein Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen habe, denn die sei nichts anderes als die - evangelische - Gnade. Die Dinge, die der Papst symbolisch mache, seien auch real, etwa im vatikanischen Gästehaus statt im Apostolischen Palast zu wohnen. Auch das Brotbrechen im Abendmahl, die Wandlung in den Leib Christi sei beides: symbolisch und real. Das entspricht dem katholischen wie dem lutherischen Denken.
Nur wenig hat der Wittenberger Theologe, der in Franziskus einen "wirklichen Christen" sieht und sich dafür gern den gelegentlichen Vorwurf gefallen lässt, "papstbesoffen" zu sein, an der Enzyklika auszusetzen - etwa dass Albert Schweitzer nicht auftauche oder die skandalösen Auswirkungen der Weltfinanzwirtschaft "nur so nebenbei" behandelt werden. Das wird zwar schon in "Evangelii gaudium" behandelt, aber darüber will Schorlemmer gerne einmal mit dem Papst selbst sprechen, mit dem er die "Hoffnung gegen jede Hoffnung" teilt: spero contra spem.