KNA: Wie wird die anhaltische Landeskirche künftig aussehen?
Karsten Wolkenhauer (Anhalts neuer Kirchenpräsident seit 29. März 2025): Wir sind aktuell unter die 24.000-Mitglieder-Grenze gerutscht. Das zu realisieren fällt schwer. In unserer kleinen Kirche gibt es eine große Anzahl sehr begeisterter Haupt- und Ehrenamtlicher. Aber auch ihre Zahl wird weniger: Viele Gremien haben bereits Schwierigkeiten, Mitglieder zu finden. Das merken wir sehr deutlich. Dazu kommt das politische Umfeld. Die Bundestagswahl hat keinen Zweifel daran gelassen, wie die nächsten Wahlen in Anhalt ausgehen könnten. Ich glaube, das wird sich sehr auf die Evangelische Landeskirche Anhalts auswirken. Und dann ist da die Diakonie: Ich sehe, dass überall diakonische Werke in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Auch das wird unsere Kirche prägen.
In all dem werden wir weiter munter und hoffnungsfroh Kirche bauen.
KNA: Das stellt natürlich sofort die Frage nach der weiteren Selbstständigkeit Ihrer Landeskirche. Kann Anhalt Anhalt bleiben?
Wolkenhauer: Bislang gehe ich davon aus, dass Anhalt Anhalt bleiben wird, in welcher Form auch immer. Meine Wahrnehmung der evangelischen Landeskirchen ist, dass der Trend zur Fusion zum Zusammenschluss Bekenntnissen etwas zurückgegangen ist und man eher Kooperationsformen sucht. Synergien, so wie etwa die Berlin-Brandenburgische Kirche, Anhalt und die Mitteldeutsche Landeskirche jetzt einen gemeinsamen Bewerbungsraum für Pfarrpersonen haben. Diese übergreifenden. Verbundaspekte werden zukünftig an Bedeutung gewinnen.
KNA: Wo können Sie sich noch solche Verbünde vorstellen?
Wolkenhauer: Zum Beispiel bei der Verwaltung: Themen wie IT, Datenschutz, Datensicherheit oder Arbeitsschutz müssen wir als kleine Kirche nicht selber machen. Da gibt es sehr vieles, was man auch gut in Kooperation mit anderen machen kann
KNA: Zum Beispiel auch die Personalverwaltung?
Wolkenhauer: Ja, aber da schwanke ich schon. Es gibt einen Teil der Personalverwaltung oder Personalarbeit, den man sehr gut wahrnehmen kann, ohne die Personen zu kennen und ohne zu wissen, was in der Region oder in den Kirchengemeinden läuft. Die Gehaltsabrechnung zum Beispiel könnten auch EKD-weit versendet werden. Anderes wird man hingegen nur vor Ort machen können: Weil es eben für manche Fragen auch wichtig ist, genau zu wissen, was vor Ort passiert - zum Beispiel bei Liegenschaften, Pachten, Gebäuden und Personalentwicklung.
KNA: Wäre man mit 24.000 Leuten nicht genau in der richtigen Größe für einen Kirchenkreis?
Wolkenhauer: In anderen Landeskirchen sind 24.000 Gemeindeglieder in der Tat ein Kirchenkreis. Mancherorts sogar nur noch ein sehr kleiner Kirchenkreis. Aber hier in Anhalt haben wir auch den Mut, zu sagen: Mit unseren 24.000 Mitgliedern haben wir das Ohr in und an der Fläche. Wir haben fünf Kirchenkreise, die eine lange Geschichte und Tradition haben. Wir haben 210 Kirchengebäude in der Fläche unserer Landeskirche. Das hilft, eng an den Menschen dran zu bleiben und am Geschehen vor Ort.
KNA: Wie wollen Sie denn mit 24.000 Gemeindegliedern auch nur ansatzweise 210 Kirchen unterhalten?
Wolkenhauer: Das ist vollkommen unmöglich. Es gibt so eine Kennzahl, die wohl aus der Mitteldeutschen Landeskirche stammt. Demnach kostet die bloße Unterhaltung einer Kirche 26.000 Euro pro Jahr. Bei 210 Kirchengebäuden wären das 5,4 Millionen Euro nur für den Unterhalt - und das, ohne dass dazu irgendeine kirchliche Arbeit passiert wäre.
Uns ist vollkommen klar: Dann bleibt gar kein Geld für andere Arbeit über. Deswegen werden wir in Bezug auf den Erhalt der Gebäude zu neuen und kreativen Lösungen kommen müssen.
KNA: Was sehen Sie denn auf der Habenseite Ihrer Landeskirche?
Wolkenhauer: Auf der Habenseite sehe ich sehr deutlich die jahrzehntelange Erfahrung einer Minderheitenkirche, die wir in Anhalt gesammelt haben. Bundesweit wird sich Kirche genau dorthin in großen Stil entwickeln. Wir in Anhalt haben diese Erfahrung schon. Kirche in der Mitte der Gesellschaft zu sein, und für deren Ränder. Und ich glaube, genau dahin wird sich die Kirche in großem Stil entwickeln.
Es gibt eine ganz tiefe regionale Verbindung in unserer Kirche: Die Zerbster sind in Zerbst eng mit der Stadt verbunden, die Ballenstedter in Ballenstedt. Überall dort, wo regional und lokal gedacht wird, spürt man eine ganz tiefe Verbundenheit.
KNA: Was wollen Sie im kommenden Jahr in der anhaltischen Landeskirche erreichen? Was steht für 2025 an?
Wolkenhauer: Ich glaube, dass wir aus den Kirchenkreisen heraus zu einer gemeinsamen Perspektive als Landeskirche kommen müssen. Die Kirchenkreise sind sehr gut organisiert, was Perspektiven für ihre jeweilige Region angeht, und diese fünf Perspektiven zu einer gemeinsamen Perspektive für Anhalt zusammenzuführen - daran habe ich großes Interesse, darauf habe ich große Lust. Ja, wir sind klein, aber wir werden agil sein, eine ganze Landeskirche als Erprobungsraum, das wäre doch mal was. Und dazu kommen dann die zwei Themenkreise, die ich vorhin bereits angesprochen habe: Die flächendeckende finanzielle Schwächung der Diakonie und der Umgang mit der AfD. Ich glaube, das wird das nächste Jahr vor den Landtagswahlen in Sachsen- Anhalt sehr deutlich prägen. Da sind alle Kreativität und Geistkraft gefordert!
KNA: Wo ist das Problem bei der Diakonie?
Wolkenhauer: Das Land Sachsen-Anhalt hat zum Beispiel den Rahmenvertrag für die Wiedereingliederungshilfe gekündigt. Und das führt zu massiven Schwierigkeiten. Das berichten einige Partner in der Diakonie Mitteldeutschland, der ja auch Anhalt angehört. Und es steht die Befürchtung im Raum, dass weitere Kürzungen im Sozialbereich folgen könnten. Hier wird bei denen gespart, die sich kaum wehren können. Wir versuchen, allen Einfluss und alle guten Kontakte und Ideen zu nutzen, die wir gemeinsam haben, um diese wichtige Arbeit zu erhalten.
KNA: Braucht es da eine Zusammenarbeit mit der Caritas?
Wolkenhauer: Ich halte es für eine gute Idee, enger mit der Caritas zusammenzuarbeiten. Ich wünsche mir ein Verständnis auf politischer Seite, dass das, was Diakonie und Caritas über Jahrzehnte an Demokratiestärkung und Teilhabe aufgebaut hat, jetzt nicht an fehlenden Zuschüssen scheitern darf. Natürlich, alle müssen sparen.
Die Diakonie halte ich bereits für einen Sparweltmeister, der der verfassten Kirche seit vielen Jahren vormacht, wie gutes Sparen und Nachhaltigkeit geht. Das und mach anderes können wir von Caritas und Diakonie lernen.
KNA: Welche Rolle können da Spenden und ehrenamtliches Engagement spielen?
Wolkenhauer: Ich bin überzeugt, eine sehr große Rolle. Ehrenamtliches Engagement ist in Diakonie und Kirche bereits sehr ausgeprägt. Und trotzdem hoffe ich, dass es wieder zu einer viel stärkeren Zusammenarbeit von verfasster Kirche und Diakonie kommt. Im Moment ist mein Gefühl, dass die verfasste Kirche und die Diakonie sich gegenseitig sehr dringend brauchen.
KNA: Welche Rolle spielt für Anhalt künftig die Ökumene?
Wolkenhauer: Ich erlebe die Gespräche mit dem Bistum Magdeburg und mit der ACK als sehr vertrauensvoll bereichernd. In meinen kurzen Wochen, die ich jetzt hier bin, hat es schon zwei sehr intensive Gespräche mit Bischof Feige von Magdeburg gegeben und seinem Team. Ich schätze diesen Kontakt, die Wertschätzung und auch das geistliche Level, auf dem diese Gespräche stattfinden, sehr. Bislang war keines davon ergebnislos. Ich spüre da eine sehr tiefe, gewachsene Verbundenheit.
KNA: Kann sich eine kleine Landeskirche wie Ihre möglicherweise auch etwas von freikirchlichen Strukturen abgucken?
Wolkenhauer: Das können wir ganz sicher. Vor allem diese Selbstverständlichkeit, dass das Geld schon irgendwie aus Steuern und vom Staat kommt, die müssen wir verlernen. Wir werden zukünftig vor allem das Geld ausgeben, das wir selbst erwirtschaften und durch überzeugende Arbeit, Ideen und Engagement bekommen. Da ist noch viel Luft.