DOMRADIO.DE: Sie hatten dazu aufgerufen, dass die Menschen in und um Aurich ihren quasi letzten Reisekoffer packen. Wie groß war und ist die Beteiligung?
Pastorin Cathrin Meenken (Pastorin an der Lambertikirche in Aurich, Ostfriesland): Wir haben rund 70 Koffer zusammengekriegt - das ist großartig, damit habe ich nicht gerechnet. Die kamen allerdings auf den letzten Drücker, muss ich sagen. Es lief erst mau an, dann plötzlich waren sie alle da.
DOMRADIO.DE: Was haben Sie sich bei dieser Aktion gedacht?
Meenken: Das ist das Herzstück einer großen Veranstaltungsreihe "Sterben gehört zum Leben", die wir ökumenisch zusammen mit dem Hospizverein und dem Landkreis auf die Beine gestellt haben. Da gibt es viele Workshops, Referate, Lesungen rund um das Thema Palliativ und Patientenverfügung, Praktisches und Theoretisches zum Thema.
Das Herzstück ist eben diese Aktion, dass man sich selber Gedanken macht zum Koffer für die eigene letzte Reise.
DOMRADIO.DE: Dann sind sie alle mit diesen Koffern durch die Auricher Innenstadt gezogen. Inklusive staunender Menschen, die das alles beobachtet haben, oder?
Meenken: Ja, das stimmt. Das war ein großes Bohei. Wir hatten einen Eröffnungsgottesdienst bei uns in der Lamberti-Kirche - dort sind rund 35 Koffer zu sehen. Nach diesem Gottesdienst sind wir dann 300, 400 Meter durch die Stadt gezogen bis zum Kunstraum, dem "Auricher Zwischenraum". Die haben dort richtig etwas auf die Beine gestellt.
Dort sind auch noch Koffer zu sehen, aber eben anders als bei uns in der Kirche. Sie haben da einen Bahnsteig aufgebaut, einen Wartesaal und das nochmal ganz anders in Aktion gesetzt. Ganz toll.
DOMRADIO.DE: Sie haben auch in ausgewählte Koffer geschaut. Wie ist das? Was nehmen die Menschen mit ins Jenseits?
Meenken: Viel Konsum tatsächlich. Es hat mich überrascht, wie viele Dinge drin sind, die man kaufen kann: Whisky, Zigaretten und solche Dinge. Aber auch viele Erinnerungen wie Fotos, Tagebücher, irgendwelche besonderen Gegenstände aus der Kindheit.
Dann gibt es aber auch viele Koffer, die symbolisch gepackt wurden. Einige Koffer haben auch keinen Inhalt so nach dem Motto "Das letzte Hemd hat keine Taschen". Da ist es spannend, wie der-, oder diejenige das begründet.
DOMRADIO.DE: Wie ist das begründet worden? Sie haben ja auch darüber diskutiert.
Meenken: Zum Beispiel kamen da Antworten wie "das letzte Hemd hat keine Taschen" oder" dort, wo ich hingehe, brauche ich nichts. Gott hat alles für mich".
DOMRADIO.DE: Abschied nehmen, der Tod eines nahen Angehörigen, eines Familienmitglieds, aber eben auch sich mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen, ist sehr emotional. Welchen Beitrag können Sie mit dieser Aktion leisten, dass man damit möglicherweise besser umgehen kann?
Meenken: Es ist wirklich emotional. Wir haben auch gemerkt, dass es schwierig ist, Menschen zu gewinnen, die mitmachen. Alle wollten gerne die Ausstellung anschauen, aber kaum jemand wollte packen. Das ist dann nochmal etwas anderes.
Wir merken aber, dass wir miteinander ins Gespräch kommen, dass wir darüber reden, dass wir es geschafft haben, dieses Thema aus der Tabuzone herauszubekommen und mit diesen unterschiedlichen Angeboten, wie zum Beispiel mit den Koffern, thematisch nochmal ganz anders an dieses Thema heranzugehen, was uns ja alle irgendwann betrifft.
DOMRADIO.DE: Warum ist es wichtig, dass wir uns mit dem eigenen Tod beschäftigen und auseinandersetzen?
Meenken: Um zu leben, glaube ich. Ich habe bei meinem eigenen Kofferpacken gemerkt, dass ich da eigentlich Erinnerungen reinpacken möchte, die ich noch gar nicht erlebt habe. Etwa einen Roadtrip mit meiner Familie durch irgendein großes Land oder so etwas. Das habe ich noch nicht erlebt, das will ich noch.
Und das ist noch mal so eine Bestandsaufnahme zu gucken: Lebe ich eigentlich so, wie ich das möchte oder wie ich kann?
DOMRADIO.DE: Man kann die Koffer und die Ausstellung noch ein paar Tage in Aurich besuchen. Wo und wie geht das?
Meenken: Das geht in der Lamberti-Kirche in Aurich, direkt in der Innenstadt und im Auricher Zwischenraum. Am besten mal bei uns auf die Internetseite schauen oder beim Instagram Kirchenkreis Aurich und uns dann kontaktieren. Wir haben etwas komplizierte Öffnungszeiten, aber für Gruppen bieten wir auch Sonderöffnungs-Zeiten an.
Das Interview führte Carsten Döpp.