"Was ist aus meinen Wünschen, meinen Träumen geworden, warum habe ich sie nicht umgesetzt?" Christina Gann hört solche Gedanken immer wieder. Denn sie begleitet seit 15 Jahren Menschen, die sterben werden. Was Sterbende bereuen? "In der Regel die Dinge, die sie nicht gemacht haben", sagt die Leiterin eines Hospizes im rheinland-pfälzischen Bad Kreuznach.
Neben ihrem Beruf schreibt sie Bücher - über den Tod und das Leben. Für Gann gehört beides zusammen: "Erst die Endlichkeit gibt jedem Tag eine Bedeutung, einen Wert. Das sollten wir uns öfter bewusst machen."
Mit Sterben und Tod möchte Gann auch deshalb mehr Menschen konfrontieren, um Ängste abzubauen. Oft hat sie die Erfahrung gemacht, dass das Thema umschifft wird. "Wir machen einen großen Bogen darum, als ob wir damit vermeiden könnten, dass der Tod kommt", beobachtet sie: "Dabei ist der Tod das einzig Sichere im Leben. Erst in der Familie und im Freundeskreis, dann bei jedem selbst."
Verlernter Umgang mit Sterben und Tod
Ängste zeigen sich nach Ganns Erfahrung in Überforderung und Unsicherheit im Umgang mit Sterben und Tod: "Wir haben das verlernt, und wenn man etwas nicht kennt, entsteht Angst." Während es früher hierzulande zum Beispiel üblich war, dass die Oma im Wohnzimmer verstirbt, sei der Tod ab den 1970er Jahren mehr und mehr ausgelagert worden - vor allem in Krankenhäuser und Altenheime.
In den vergangenen 20 bis 30 Jahren sieht Gann einen gewissen Fortschritt, vor allem durch die Hospizbewegung, ehrenamtliche ambulante Hospizdienste und mehr Palliativversorgung. Das Sterben zu Hause sei wieder ein klein wenig üblicher geworden. Es sollte deutlich mehr in die Häuser rücken, und mehr Menschen sollten einbezogen werden, findet Gann: "Im Übrigen wird das auch so sein müssen, weil es weniger Pflegekräfte geben wird." Hospiz- und Palliativteams könnten nur spezielle Fälle versorgen.
"Jeder kann Sterbende begleiten"
"Für die Meisten braucht es einfach andere Menschen, keine Spezialisten. Jeder kann sterbende Menschen begleiten", betont die Hospizleiterin: "Einfach Dasein. Lernen, Weinen auszuhalten zum Beispiel. Das kann jeder." Menschen seien darauf gepolt, immer etwas zu tun. "Aber beim Da-sein geht es nicht um Produktivität. Sondern es ist auch unfassbar viel getan damit, einfach zwei Stunden am Bett zu sitzen."
Was sollte jeder zum Umgang mit Sterbenden wissen? "Genau das gleiche wie über das Leben", findet Gann: "Es geht darum wahrzunehmen, wie es anderen und mir selbst geht - da finden sich alle Antworten, die es braucht, um Menschen im Leben wie auch im Sterben zu begleiten".
Unsicherheit ansprechen und nichts beschönigen
Die Angst vieler Menschen zeige sich auch in der Unsicherheit, zu den Sterbenden etwas Falsches zu sagen. Gann schildert aus ihrem Alltag im Hospiz, dass Angehörige nicht offen mit den Sterbenden sprächen. Die Fachfrau rät dazu, genau diese Unsicherheit anzusprechen. Und offen zu fragen, was die Sterbenden sich wünschen. Niemand anderes kann besser als der Mensch selbst beurteilen, ob und wenn ja, worüber er sprechen möchte, ob er alleine sein möchte oder in Gesellschaft. Also: nichts beschönigen, vor allem auch den Sterbenden nicht im Unklaren über seine Situation lassen. Das gelte auch für Kinder.
Den Tod ins Leben mehr reinbringen - dazu gehört es für Christina Gann auch, schon mit jungen Menschen offen damit umzugehen, wenn ein Familienmitglied oder das Kind selbst sterbenskrank ist. Gann weiß aus ihrer Erfahrung, dass es keine Frage des Alters ist, wie Menschen mit dem Tod umgehen. Manche würden mit 90 Jahren damit hadern, andere in deutlich jüngerem Alter das Sterben mehr akzeptieren.
Sterben ein Thema für jede Altersgruppe
Sterben - das ist nicht nur ein Thema für alte Menschen. Was rät eine Fachfrau jeder und jedem zur Vorbereitung auf den eigenen Tod? Sie sieht schon die Auseinandersetzung damit als eine Chance. Weil dann an zwei Aspekten kein Weg vorbei führt: Wie will man am Ende des Lebens gelebt haben? Und: Wie möchte man sterben?
Ganz praktisch könne das damit beginnen, sich mit Vorsorgevollmachten und einer Patientenverfügung zu beschäftigen. "Da kann man auch erstmal einfach frei die eigenen Wertvorstellungen formulieren, mal aufschreiben, wie man gerne sterben würde oder andere freie Überlegungen", rät Gann. Ihr Tipp: Ab 18 Jahren sollte jeder diese Dinge regeln und sie sich dann alle ein oder zwei Jahre wieder vornehmen. Auch wenn es vermeintlich gerade nicht in die Lebensphase passt: "Der passende Zeitpunkt ist nie".
Aus dieser ersten Annäherung an das Thema könnten sich dann neue Fragen ergeben: Man liest vielleicht ein Buch dazu, schaut einen Film, spricht mit anderen. "Das Beschäftigen damit ist ein Prozess, und das ist gut so", so Gann.
"Das Leben mit Leben füllen"
Der zweite Aspekt zum guten Sterben klingt leicht - und ist gleichzeitig eine riesige Herausforderung: "Wir sollten uns um das kümmern, was wirklich im Leben wichtig ist". An Kalendersprüchen wie "Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter" sei viel Wahres dran, findet Gann. "Das Leben mit Leben füllen", nennt sie es und ergänzt, dass es auch bei ihr persönlich ein ständiger Prozess ist.
Sie selbst bekam mit Anfang 30 und zwei kleinen Söhnen eine Brustkrebsdiagnose - Ausgang offen. "Wenn man durchs Leben rennt, wird man auf brutalste Weise ausgebremst" - so hat sie es damals erlebt. Nachdem sie die Krankheit besiegt hatte, fing sie beruflich an, sich mehr in Richtung Palliativversorgung zu orientieren.
Bei vielen Menschen passe das Sterben zu dem, wie sie gelebt haben, berichtet Gann aus den Erfahrungen mit vielen Sterbenden. Sie nennt Faktoren wie eine hohe Akzeptanz von sich selbst und dem Leben und auch, ob jemand im Leben vor allem Erwartungen anderer erfüllt hat oder bei sich selbst war: "Dann habe ich das Gefühl, Leben wird im Sterben voll-endet, nicht be-endet."
Keine platten Ratschläge
Was Gann nicht meint, sind platte Ratschläge wie "immer positiv denken". Es gebe natürlich viele Ungerechtigkeiten, und vieles hätten Menschen im Laufe ihres Lebens nicht selbst in der Hand. Aber: "Jeder für sich kann daran arbeiten, bewusst zu leben. Rausgehen, spüren, was nehme ich wahr, offen für Gespräche und Eindrücke sein, sich selbst wahrnehmen."
Vieles davon sei insbesondere durch Smartphones in den letzten Jahren verlernt worden. "Man ist durch tausende Möglichkeiten durchgetaktet und nimmt sich nicht Zeit für die das, was wirklich wichtig ist." Jeder habe - egal wie schwierig die äußeren Bedingungen sind - dazu die Chance.
Das Buch "Den Tod umarmen. Aus dem Tagebuch einer Hospizleiterin" ist im Kelkheimer Verlag "Edition Pauer" erschienen und kostet 16,00 Euro. ISBN: 978-3-947930-50-0