domradio.de: Staatliche Stellen dürfen keine Flüchtlingskinder an Schulen in privater Trägerschaft, zu denen auch erzbischöfliche Schulen gehören, zuweisen. Es ist jetzt aber doch ein Weg gefunden worden, Flüchtlingskinder an Schulen des Erzbistums aufzunehmen, oder?
Bernadette Schwarz-Boenneke (Leiterin der Hauptabteilung Schule/Hochschule im Erzbistum Köln): Ja, wir sind kreativ geworden. Es gibt keine direkte Zuweisung der Bezirksregierungen an unsere Schulen. Aber unsere Direktorinnen und Direktoren sind von Anfang an auf die Bezirksregierungen zugegangen und haben gesagt, dass sie Möglichkeiten haben, Kinder aufzunehmen. So haben unsere Schulen von Anfang an Gastschülerinnen und Gastschüler aufgenommen.
Wir haben jetzt ein Konzept, wir wissen, wie man Kinder gut in die Schule integrieren kann. Gut heißt für uns, dass sie dort Freundschaften und Bekannten schließen. Das ist das Zwischenmenschliche. Aber wir möchten auch, dass die Kinder bei uns eine Chance im Bildungssystem haben. Deshalb sagen wir jetzt, dass wir in jede Klasse Flüchtlingskinder aufnehmen möchten. Wir haben erst einmal gesagt, ein Kind pro Klasse. Aber das ist nur das Mindestlevel, das wir erreichen wollen.
domradio.de: Es gibt erste Erfahrungen von der Liebfrauenschule in Bonn. Welche Erfahrungen hat man da gemacht?
Schwarz-Boenneke: Die Liebfrauenschule ist ja eine Mädchenschule und die hat bis jetzt 15 Kinder aufgenommen. Die Schule fährt zweigleisig. Sie hat die Mädchen je nach Lernniveau auf Klassen verteilt. Aber die Schülerinnen werden immer wieder für den Sprachkurs aus den Klassen herausgeholt. Das Doppelgleisige bewährt sich. Einerseits sind die Kinder in die Klassen integriert und zugleich können sie individuell gefördert werden.
domradio.de: Wie reagieren Eltern darauf? Auf der einen Seiten wird die Aufnahme der Flüchtlingsmädchen ja sicher befürwortet - auf der anderen Seite gibt es vielleicht auch Bremsklötze?
Schwarz-Boenneke: Es gibt Eltern, die einfach froh sind, dass es in der Schule läuft und Kirche ganz klar Flagge zeigt und Flüchtlinge aufnimmt - also nicht nur redet, sondern auch handelt. Es gibt natürlich auch Eltern, die Fragen haben und Bedenken, dass ihre Kinder, die vielleicht auch Förderbedarf haben, unter den Tisch fallen. Uns ist wichtig, in den Schulen eine Diskussions- und Gesprächskultur zu haben, damit positive und negative Stimmen reingebracht werden. Es gab nie den Fall, dass bei mir jemand angerufen und gesagt hätte: 'Das geht überhaupt nicht. Was macht ihr da?' Das ist nicht der Fall. Aber ich finde, die Bedenken sollten wir ernst nehmen.
domradio.de: Wer wählt die Kinder denn aus? Sind das alles Kinder aus christlichen Flüchtlingsfamilien, die an die erzbischöflichen Schulen kommen?
Schwarz-Boenneke: Die Direktorinnen und Direktoren bekommen von der Bezirksregierung eine Liste mit Namen von Kindern, durch die auch klar wird, welchen Hintergrund die Kinder haben. Dann wählen sie aus - und zwar mit Blick darauf, dass die Eltern der Kinder auch wirklich wissen und wollen, dass das Kind an eine katholische Schule kommt.
Wir schauen nicht so sehr darauf, ob das Kind ein katholisches, ein christliches oder ein muslimisches Kind ist. Wir haben ja jetzt schon muslimische Kinder an unseren Schulen. Für uns ist es aber wichtig, dass die Eltern zu dem Profil der Schule Ja sagen können. Da sind für uns alle Eltern gleich. Alle müssen Ja zu dem katholischen Profil sagen können und dann eben auch zulassen, dass ihr Kind zum Beispiel am katholischen Religionsunterricht teilnimmt.
domradio.de: Unter Umständen haben die Kinder Schlimmes erlebt - in der Heimat und auf der Flucht. Wir arbeiten Sie mit traumatisierten Flüchtlingsschülern?
Schwarz-Boenneke: Wir haben zum Glück ein riesengroßes Netzwerk bei uns im katholischen Raum. Wir haben bei uns an den Schulen ja die Schulseelsorger, die zum Teil noch eine Notfallseelsorger-Ausbildung haben. Die sind noch nicht fit für Traumakinder, aber sie wissen, worauf sie achten müssen und haben ein sehr gutes Netzwerk an der Hand, mit dem sie arbeiten.
Es gibt ein Beispiel aus Bonn, wo ein traumatisiertes Mädchen sein Gehirn voll auf Vergessen geschaltet hat. Vergessen, was passiert ist, sich dem nicht stellen müssen, einfach hier sein können. Das hat sich aber auch ausgewirkt auf das Lernen von Vokabeln. Sie konnte am nächsten Tag die Vokabeln nicht mehr, die am Tag zuvor gelernt worden waren. Mit diesem Kind muss jetzt sehr individuell gearbeitet werden. Im Sinne von Gedächtnisaufbau: Da wird Memory gespielt und immer wieder erzählt. Da wird sehr behutsam vorgegangen und das immer in professioneller Begleitung von Leuten aus unseren Einrichtungen vor Ort, die Traumaspezialisten sind.
Das Interview führte Tobias Fricke.