An Schulen steht Glücksunterricht auf dem Lehrplan

Lernziel Wohlbefinden

Bei den Fünftklässlern des Radebeuler Gymnasiums ist "Glück" ein Unterrichtsfach. Immer mehr Schulen erproben das inzwischen. Es dient der Persönlichkeitsbildung und soll steigendem Erwartungsdruck entgegenwirken.

Autor/in:
Karin Wollschläger
Schüler recken den Arm im Unterricht / © Sunflower Light Pro (shutterstock)

Zunehmender Stress, Leistungsdruck und psychische Belastungen bei Schülerinnen und Schülern - zahlreiche Studien und Umfragen bestätigen diese Entwicklung. So geben drei Viertel der Kinder und Jugendlichen an, durch die gegenwärtigen Krisen ausgelöste Ängste zu verspüren. Parallel nimmt bundesweit die Zahl der Schulen zu, die das Fach "Glück" erproben. Mit speziell weitergebildeten Lehrkräften.

Eine von ihnen ist Julia Lissel - und sie stellt gleich zu Anfang klar: "Ich sage den Kindern im Glücksunterricht nicht: So werdet ihr glücklich!" Lissel unterrichtet am Gymnasium im sächsischen Radebeul "Glück", ein festes Zusatzfach für alle fünften Klassen dort. Die Bezeichnung sei etwas irreführend: "Besser erklärt es das Lernziel: Wohlbefinden."

Einjährige Fortbildung

Die junge Lehrerin hat ihre einjährige Fortbildung zur zertifizierten
"Glücklehrerin" über das gemeinnützige Heidelberger Fritz-Schubert-Institut gemacht. Gründer ist der frühere Schulleiter Ernst Fritz-Schubert, der 2007 erstmals an einer Schule "Glück" als Fach unterrichtete und das von ihm entwickelte Konzept seitdem weitergibt. Inzwischen durchlaufen am Institut jährlich rund 500 Lehrkräfte die Fortbildung, so Schubert. Die Homepage listet bundesweit über 130 Referenzschulen auf.

Die Fünftklässler in Radelbeul holen ihre Hausaufgaben heraus: "Meine 20 Stärken". Nicht jedem fiel es leicht: "Ich hab drei Tage dafür gebraucht...", erzählt ein Mädchen, ein Junge räumt ein: "Mir fiel nach 15 einfach nix mehr ein." Lehrerin Lissel lächelt: "Das ist doch völlig okay. Manchmal ist man sich auch gar nicht bewusst, was eine eigene Stärke ist. Dem einen fällt eine Sache superleicht, so dass er es für völlig normal hält - und für jemand anderes ist dasselbe total kompliziert. Da kann man sich dann gut unterstützen."

Zunehmender Erwartungsdruck

Institutsleiter Schubert beobachtet seit Längerem einen zunehmenden
Erwartungsdruck von Gesellschaft und Eltern, dem Kinder ausgesetzt sind: "Das braucht dann ein Ventil. Manche Kinder können das nicht regulieren und reagieren mit Aggressivität." Das deckt sich mit Lissels Erfahrungen. Zu Beginn des Schuljahres fragte sie ihre Schüler, was für sie Glück sei: "Ein Kind antwortete: 'Wenn meine Eltern sich freuen, weil ich gute Noten schreibe.'"

Der Glücksunterricht soll den Kindern helfen, sich besser mit ihren eigenen Bedürfnissen auseinanderzusetzen, sich ihrer Stärken bewusst zu werden, aber auch Schwächen als etwas völlig Normales zu akzeptieren. "Kompetent scheitern lernen", nennt das Lissel: "Scheitern ist nichts Schlimmes. Oft kann man sogar etwas daraus lernen - und dann kann das eine Stärke werden. Wisst ihr: Das Wichtigste ist, darüber zu reden. Fehler zu machen ist gut, denn durch sie lernen wir über unser Handeln nachzudenken." 

"Frei von der Seele reden"

"Ich mag am Glücksunterricht, dass wir hier so ganz frei von der Seele reden können", sagt Josefine und lächelt schüchtern. Es ist ein Fach ohne Noten und festen Lehrplan. "Wir haben hier einfach mal Luft, in Ruhe darüber zu sprechen, was alle gerade bewegt, wie es der Klasse als Gruppe geht - wie sich die Kleinen hier mit all dem Neuen zurechtfinden. Die brauchen dafür einfach Zeit, das merke ich immer wieder", berichtet Lissel.

Der Psychologe Tobias Rahm veröffentlichte im vergangenen Juni eine Studie zum "Glücksunterricht" an 16 Braunschweiger Grundschulen; rund 500 Kinder nahmen daran teil. Im Rahmen des "GlüGS"-Projekts wurden im Unterricht drei Monate lang Themen wie Dankbarkeit, Entspannung, Angst oder die Wahrnehmung von Gefühlen behandelt.

Rahm zieht eine positive Bilanz: "Bei den Kindern sind negative Gefühle
zurückgegangen." Das ergaben seine Befragungen, auch unter
Lehrkräften und unter Eltern. Eine Mutter habe etwa berichtet, dass
ihr Kind nun besser über seine Gefühle reden könne.

Komplimente-Karte

Lissel ist in ihrem Unterricht auch wichtig, dass die Kinder sich der
Bedeutung eines wertschätzenden Umgangs miteinander bewusst werden, welche positiven Effekte das haben kann. Dafür gibt Lissel eine neue Hausaufgabe auf: "Schreibt jemandem, der nicht zu eurer Familie oder euren Freunden gehört, eine Karte mit einem Kompliment, was ihr toll an ihm oder ihr findet. Ich bin gespannt, was ihr von den Reaktionen
erzählt!"

Im Lehrerzimmer sitzt eine Kollegin von Lissel: "Glück? Das unterrichte ich auch, im Ethikunterricht." Ob sich beide in die Quere kommen? "Iwo", ist die lachende Antwort, "ich mach' mit meinen Schülern Heidegger, wenn wir über Glück sprechen. Gibt ja viele Zugänge zu diesem Thema." 

Darf's ein bisschen Glück sein?

Glück kann man trainieren, sagt der Braunschweiger Glücksforscher Tobias Rahm. Zum Einstieg empfiehlt er seine "absolute Lieblingsübung" - das Schreiben eines Glücks-Tagebuch.

Wer glücklicher sein will, kann das trainieren, sagt der Braunschweiger Glücksforscher Tobias Rahm. Zum Einstieg empfiehlt der Wissenschaftler seine "absolute Lieblingsübung" der drei guten Dinge. Studien hätten belegt, dass die Übung zu einem höheren Glücksempfinden führe, wenn man sie eine Woche lang jeden Abend durchführe. Der Zeitaufwand ist gering.

Symbolbild Glückliche Menschen / © Rawpixel.com (shutterstock)