epd: Wie kam es zu der gemeinsamen Gedenkfeier zum Reformationsjubiläum am 31. Oktober 2016 mit Papst Franziskus in Lund? Wie laufen die Vorbereitungen?
Antje Jackelén (Erzbischöfin der lutherischen Schwedischen Kirche): Der Papst kommt ja als Mitarrangeur, denn es geht hier um das gemeinsame Gedenken an 500 Jahre Reformation, und dieser Besuch ist eine Frucht von fast 50 Jahren Dialog zwischen Rom und Genf, also zwischen dem Vatikan und dem Lutherischen Weltbund (LWB). Das Ganze basiert eigentlich auf einer Schrift, die 2013 veröffentlicht wurde mit dem Titel "Vom Konflikt zur Gemeinschaft". Bei diesem Text von etwa 90 Seiten handelt es sich um die erste von Katholiken und Lutheranern gemeinsam verfasste Beschreibung der Reformation in Geschichte und Gegenwart. Und das ist, finde ich, ein Riesenschritt vorwärts.
Noch mehr freut mich, dass in dieser Schrift fünf Imperative benannt werden, fünf gemeinsame Aufforderungen, die wirklich auch Zukunftsperspektiven aufweisen, dass zum Beispiel das gemeinsame Bezeugen des Evangeliums und der gemeinsame Dienst an der Welt etwas ist, dem wir uns gemeinsam verpflichten.
epd: Was hat die Schrift bewegt?
Jackelén: Aus dieser Schrift ist diese Initiative erwachsen, zum Auftakt des Jubiläumsjahres am 31. Oktober 2016 einen gemeinsamen Gebetsgottesdienst abzuhalten, und es war im Grunde der Wunsch Roms, dass dieser in Lund stattfinden soll. Und der Lutherische Weltbund hatte natürlich nichts dagegen, weil der LWB ja auch 1947 in Lund gegründet worden ist.
epd: Wie wegweisend ist der Umstand, dass Papst Franziskus persönlich nach Lund kommt?
Jackelén: Der Lutherische Weltbund hat von vornherein sehr deutlich gemacht, dass wir das Reformationsjubiläum in ökumenischer Verantwortung und in globaler Verantwortung begehen wollen. Denn Reformation ist heutzutage ja kein deutsches oder europäisches Phänomen mehr, sondern es ist ein globales Phänomen. Außerdem wollen wir daran erinnern, dass Reformation nichts Abgeschlossenes ist, sondern dass Reformation ein laufender Prozess ist. Und von daher ist es wichtig, dass auch Vertreter aus anderen Teilen der Welt kommen, dass es ein internationales Ereignis ist. Für uns ist außerdem wichtig zu betonen, dass der LWB und Rom gemeinsam dazu einladen.
epd: Wie würden Sie das heutige Verhältnis zwischen Lutheranern und Katholiken in Schweden beschreiben?
Jackelén: Schweden ist im Vergleich zu Deutschland dahingehend speziell, dass die Schwedische Kirche bis zum Jahr 2000 eine Staatskirche war. Religionsfreiheit haben wir eigentlich relativ spät bekommen, hier in Schweden war das Anfang der 50er Jahre. Die katholische Kirche ist eine Minoritätskirche, die davon geprägt ist, dass es dort einerseits sehr viele Einwanderer gibt. Andererseits aber auch Menschen, die von der Schwedischen Kirche zum katholischen Glauben konvertiert sind. Und das prägt auch ein bisschen die Beziehungen: Auf der einen Seite sieht man diese Minoritäts-Majoritäts-Problematik, auf der anderen Seite die Konversionsproblematik. Denn, wenn jemand "von etwas wegkonvertiert", dann hegt man oft keine so richtig sympathischen Gedanken in Bezug auf den Zusammenhang, von dem man sich abgewendet hat. Von daher ist Ökumene – katholisch-lutherische Ökumene – in Schweden nicht immer das Allereinfachste. Es gibt aber auch ein gutes Miteinander.
epd: Gibt es denn bereits Fortschritte in Bezug auf die Ökumene? Ist zum Beispiel irgendwann ein gemeinsames Abendmahl denkbar?
Jackelén: Bei uns ist es ja so, dass in der Lutherischen Kirche der Abendmahltisch offen ist für alle Getauften. Das heißt, dass auch Katholiken das Abendmahl bei uns empfangen dürfen. In der Katholischen Kirche ist das ja – jedenfalls offiziell – anders. Auch wenn alle wissen, dass es in der Praxis vorkommt, dass jemand das Abendmahl auch in der anderen Kirche empfängt. Aber was das offizielle gemeinsame Abendmahlfeiern angeht, da wage ich nicht recht zu hoffen, dass sich da in absehbarer Zukunft sehr viel ändern wird. Aber es gibt einen Druck "von unten" sozusagen, und den sollte man respektieren.
epd: Papst Franziskus, der sich sehr für Flüchtlinge einsetzt, hat immer wieder betont, man müsse mehr tun, um diesen Menschen zu helfen. Wie steht die Schwedische Kirche zum Thema Flüchtlinge?
Jackelén: Unsere Gemeinden sind ja sehr engagiert gewesen, vor allem im vergangenen Herbst, als so viele Flüchtlinge auf einmal kamen. Viele haben konkret geholfen, zum Beispiel Unterkünfte, Kleider und Essen bereitgestellt, mit Transporten geholfen, Aktivitäten für Kinder ins Leben gerufen, Sprachcafés initiiert. Man hat mit dem Roten Kreuz und anderen Organisationen zusammengearbeitet, da sind viele gute Dinge geschehen. Das Engagement ist weiterhin da. Manche Gemeinden senden Signale, der Gottesdienst bei uns ist lebhafter geworden, seitdem wir neue Gesichter bei uns haben. Das darf man nicht romantisieren. Aber es gibt viele gute Begegnungen.
epd: Was kann die Schwedische Kirche, was können die Christen generell im Dialog mit Muslimen bewirken und inwieweit können sie zum Frieden beitragen?
Jackelén: Für uns als Christen ist es wichtig, für die Würde des Menschen einzustehen, denn diese gilt unabhängig von der Religion.
Außerdem muss man ganz nüchtern sagen, dass Christen und Muslime mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen. Wenn man Weltfrieden haben will, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass Christen und Muslime friedlich zusammen leben können. Wenn es um Religionsdialog geht, so ist meine Erfahrung, dass - wenn es um den Dialog mit zum Beispiel Buddhisten geht - dieser weitgehend nicht kontrovers ist. Die Kontroversen brechen heutzutage dann auf, wenn es um den Islam geht. Es gibt auch hier in Schweden sehr viel Angst vor dem Islam, auch Hass auf den Islam.
epd: Seit dem Jahr 2000 ist die Schwedische Kirche keine Staatskirche mehr. Welche Folgen haben sich daraus ergeben, auch in Hinblick auf die Finanzen?
Jackelén: Wir sind bisher immer noch eine relativ wohlhabende Kirche, auch noch eine relativ große Kirche. Und obwohl Schweden einerseits zu den säkularisiertesten Ländern der Welt gehört, sind immer noch über 60 Prozent der Bevölkerung Mitglieder der Schwedischen Kirche. Wir haben aber eine Tendenz, eine kleinere Kirche zu werden, ein Trend, den wir mit vielen "Mainstream-Kirchen" in Europa teilen, und der übrigens nicht nur die Kirchen betrifft.
Auch politische Parteien und Gewerkschaften haben jetzt geringere Mitgliederzahlen als noch vor einigen Jahren. Wir genießen weiterhin großes Vertrauen in der Gesellschaft, auch seitens der Regierung wurde in der Flüchtlingskrise gesagt, dass Schweden die Lage so nicht hätte meistern können, hätte man die Kirchen nicht gehabt.
epd: Sie sind gebürtige Deutsche, kommen ursprünglich aus Herdecke in Westfalen – wo fühlen Sie sich mehr Zuhause, in Deutschland oder Schweden?
Jackelén: Ich habe ja auch noch ein Stück Heimat in den USA, in Chicago, wo ich sechs Jahre lang gelebt habe. Das "Heimat"-Gefühl ist für mich persönlich weniger mit einem geografischen Platz verbunden als mit dem Erleben "hier gehöre ich hin, ich gehöre zu diesen Menschen, gerade jetzt und hier erlebe ich ein Stück Heimat". Das kann an ganz verschiedenen Orten sein, sowohl Schweden als auch Deutschland als auch USA. Ich empfinde es so, dass Heimat eher ein Erlebnis in der Zeit ist als ein Ort im Raum.
Das Interview führte Nicola Glass.