"Ja, das ist ein schwerer Rückschlag vor allem für liberale Muslime, weil sie wieder mit Islamisten in eins gesetzt werden", sagte Käßmann der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" (Donnerstag)
Käßmann ist Mitglied im Leitungsgremium des UN-Projekts "Religions for Peace". Auf die Frage, wie sie mit ihrer Arbeit dem öffentlichen Bewusstsein entgegentreten wolle, dass der Unterschied zwischen gemäßigten und radikalen Muslimen zunehmend verschwimme, sagte sie:
"Gerade deshalb ist es wichtig, öffentlich zu zeigen, dass Gläubige verschiedener Religionen für Frieden eintreten und Gewalt verabscheuen, ja das Töten von Menschen als Gotteslästerung ansehen." Das sei nicht leicht heutzutage, "aber umso wichtiger".
Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) betonte, dass weltoffenere Menschen in den Religionen ermutigt werden müssten, während fundamentalistische Kräfte sagten: "Die Interpretation meiner Religion ist die Wahrheit, daneben gibt es keinen Raum."
Jüngste Bluttaten "schockierend, belastend, entsetzlich"
Die jüngsten Bluttaten in Nizza und Paris seien "schockierend, belastend, entsetzlich". Und gerade da sei der Dialog gefragt, sagte Käßmann. Religionen seien insgesamt nicht unschuldig. "Religionen müssen glasklar dafür eintreten, dass Fanatismus, Fundamentalismus keinen Raum finden." Am Ende gehe es um die Wahrheitsfrage: "Kann ich tolerieren, ertragen, dass andere eine andere Wahrheit über Gott finden als ich? Nur wenn ich das bejahe, können Religionen zum Frieden beitragen."
Im Fall des tödlichen Messerangriffs in einer Kirche in Nizza müsse alles darangesetzt werden, dass Religion sich nicht benutzen lasse für die Legitimation von Hass und Gewalt. "Die liberalen und dialogfähigen Kräfte in den Religionen müssen sich verbünden, damit nicht die Fundamentalisten die Wahrnehmung von Religion definieren."
Religionen müssten "Dialogkompetenz lernen, in der Lage sein, ihre Überzeugungen als demokratiekompatibel zu erweisen. Wo sie versuchen, gesellschaftliche Themen zu dominieren, sich als nicht gesprächsfähig zeigen mit der säkularen Welt, verlieren sie weiter an Zukunftsfähigkeit", betonte die Theologin.