DOMRADIO.DE: Wodurch zeichnet sich das Eichsfeld in besonderer Weise aus?
Sr. Katharina Hartleib OSF (Olper Franziskanerin, stammt gebürtig aus Heiligenstadt): In der damaligen DDR gab es zwei größere Gebiete, die wirklich katholisch waren. Das war das Eichsfeld, die thüringische Rhön und noch ein größerer Teil in der Sorbei, also um Cottbus herum.
Dieses katholische Eichsfeld machte aus, dass die Leute – man sagt so schön – wunderbar stur katholisch geblieben sind. In allen Wechselfällen dieses kleinen Landstrichs sind sie immer an dem geblieben, was sie von ihren Eltern und Großeltern geerbt haben, ihren Glauben zu leben und auch zu verteidigen.
Es war früher über die Jahrhunderte so, dass der Landesherr die Religion bestimmte. Da konnte es schon mal passieren, dass ein evangelischer Landesherr verordnete, dass alle evangelisch zu sein hätten, aber die Eichsfelder im Untergrund ihre Religion weitergelebt haben.
Dann kamen die Jesuiten und haben nach der Reformation die Gegenreformation durchgeführt, wofür die Eichsfelder sehr dankbar waren. Aus diesem gelebten Glauben heraus haben sie auch politisch anders agiert als viele andere in dieser Gegend.
Man weiß zum Beispiel heute, dass zur Zeit des Nationalsozialismus bei den Wahlen der Landkreis Eichsfeld der war, der die niedrigste Zustimmung für die NSDAP hatte.
Das war zu DDR-Zeiten vergleichsweise nicht anders. Aber da war es ja so, dass es sowieso immer 99 Prozent waren und die wirklichen Ergebnisse nie herausgekommen sind.
Also das eine war, den Glauben miteinander zu leben und das auch nach außen zeigen. Die haben sich da auch nicht stören lassen, den Jahreskreis, den Jahreslauf so zu leben, wie sie das für richtig hielten, Ostern, Pfingsten, Weihnachten, Kirmes zu feiern und daraus aber auch politisch zu agieren.
Dann hat man zum Beispiel in der DDR – wo ich das ja auch erlebt habe – versucht, in diese Eichsfeld-Dörfer besonders rote Genossen einzusetzen, die dort Bürgermeister wurden oder Schuldirektoren. Das hat nicht so gut funktioniert, wie sie sich das gedacht haben. Denn sie waren in den Dörfern oft so isoliert, dass sie irgendwann von selbst gegangen sind, weil sie gemerkt haben, dass das zwar eine gute Idee von den Parteioberen war, aber es hier nicht funktioniert hat.
DOMRADIO.DE: Stur und erdverbunden auf der einen Seite. Auf der anderen Seite gibt es aber auch diese Eichsfelder in der Fremde. Was bewegt denn nun einen so heimat- und erdverbundenen Eichsfelder dazu, das Eichsfeld zu verlassen?
Sr. Katharina: Das hatte über die Jahrhunderte immer den gleichen Grund. Das Eichsfeld war immer ein sehr armes Land. Der Boden ist sehr lehmig und sehr steinig. Die Leute hatten viele Kinder und der Boden ernährte die vielen nicht. Also mussten über die ganzen Jahrhunderte die Eichsfelder immer schon auswandern, um woanders in Lohn und Brot zu kommen.
Dann sind ganze Dörfer zum Beispiel als Musikanten, weil die Eichsfelder immer sehr musikalisch waren und sind, durch die ganze Welt gezogen. Oder sie sind auf sogenannte Kampagne gegangen. Ich habe zum Beispiel in Oschersleben, wo ich ja später eingetreten bin, erlebt, dass dort Eichsfelder die katholische Gemeinde gegründet haben, weil sie im Frühjahr auf die Rüben-Kampagne dort in die Börde gegangen und erst im Herbst wieder nach Hause gekommen sind. Irgendwann haben sie dann dort geheiratet, haben dort Gemeinden gegründet und haben dort wieder ganz neu angefangen.
Es war immer die Armut, die einen Teil der Leute gezwungen hat, wegzugehen. Dann haben sie versucht, dort, wo sie dann hingekommen sind, zu gucken, wo noch andere Eichsfelder wohnen und was die gemeinsamen Interessen sind. Und natürlich erinnert dann so ein Wallfahrtsort oder so eine Kirche, eine Kapelle an ihre Heimat und ist dann ein guter Treffpunkt.
DOMRADIO.DE: Seit 100 Jahren gibt es diese Wallfahrt für Eichsfelder in der Fremde zur Madonna in Bochum-Stiepel. Wie sieht es denn um die religiöse Praxis der Eichsfelder heute aus? Sind die immer noch so katholisch?
Sr. Katharina: Es kommt darauf an, was man als katholisch versteht. Die Eichsfelder waren nie die, die viel darüber geredet haben, wie man den Glauben lebt. Wenn ich an meine Oma denke, hat die nie über ihren Glauben geredet. Aber sie hat ihn ganz praktisch gelebt, in Nächstenliebe, in der Art und Weise ihre Kinder zu erziehen, in der Art und Weise, wie sie das Kirchenjahr gelebt haben. Ich glaube, das hat sich nicht geändert.
Was man heute nicht mehr so braucht, sind diese Vereine in der Fremde. Man merkt auch bei der Teilnahme, dass das alles ältere Herrschaften sind, die das noch hochhalten, weil es ihnen über die vielen Jahre gut getan hat. Ansonsten merke ich schon, wenn ich mal zu Hause im Eichsfeld bin, dass die Leute zu bestimmten Gelegenheiten nach Hause kommen.
Hier im Sauerland kommen sie zum Schützenfest, im Eichsfeld kommen sie zur Kirmes. Das tun sie schon noch. Aber dass man diese Vereine braucht, ist nicht mehr so, das hat sich geändert.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.