Schwierige Lage in Niger zwingen Menschen zur Flucht

Überfälle und Anschläge

Niger gilt bisher als der letzte stabile Staat im Sahel. Doch die Sicherheitslage verschlechtert sich zunehmend und treibt Tausende in die Flucht. Dazu kommen schwere Ernteausfälle in einem der ärmsten Länder der Welt.

Autor/in:
Katrin Gänsler
Dramatische Sicherheitslage in Niger / © Ibrahim Mansur (dpa)
Dramatische Sicherheitslage in Niger / © Ibrahim Mansur ( dpa )

Mariam hat es geschafft. Vor zwei Wochen hat sie in Nigers Hauptstadt Niamey Unterschlupf gefunden. Jetzt sitzt sie in einem ruhigen Hinterhof, den sechs Monate alten Sohn auf den Knien. Es ist ihr viertes Kind. Die restlichen drei hat sie beim Vater in der Region der drei Grenzen gelassen. Es ist jener Landesteil, der an Mali und Burkina Faso stößt und in dem sich die Terrormiliz Islamischer Staat in der Größeren Sahara (EIGS) immer stärker ausbreitet.

Hohes Maß an Gewalt gegen Zivilisten

Mariam ist nicht der richtige Name der Frau. Die Angst ist zu groß, von den Extremisten aufgespürt zu werden. "Weil die Sicherheitslage so schlecht war, musste ich weg." Auf die Frage, welche Gräueltaten sie selbst gesehen hat, schweigt sie einen Moment und lässt den Sohn auf ihren Knien hin und her wippen. Dann sagt sie knapp: "Ich habe viel gesehen."

Der Reach Resource Centre, eine in Genf sitzende Initiative zur Sammlung und Analyse von Daten zu Konflikten, geht in seiner jüngsten Studie über die Grenzregion von 264.257 Binnenvertriebenen sowie 249.662 weiteren Flüchtlingen aus. Es gebe ein hohes Maß an Gewalt gegen Zivilisten. Kriminalität sowie Spannungen zwischen verschiedenen Gemeinden haben demnach zugenommen. Die Einschätzung teilen zahlreiche Denkfabriken. Im ganzen Sahel ist die Gewalt sprunghaft angestiegen.

Dabei wird Niger, obwohl bettelarm, oft als das letzte stabile Land in der Region bezeichnet. In Mali, von wo aus sich der Terror vor zehn Jahren ausgebreitet hat, und Burkina Faso sind nach Staatsstreichen Übergangsregierungen an der Macht. Verlässliche Informationen zu Neuwahlen gibt es nicht. Tschad wird nach dem Tod von Langzeitherrscher Idriss Deby seit einem Jahr von dessen Sohn Mahamat Idriss Deby regiert.

In Niger ist mit Mohamed Bazoum seit April 2021 ein gewählter Präsident an der Macht. Nach der Ankündigung Frankreichs, die längst als gescheitert geltende Anti-Terror-Mission Barkhane in Mali zu beenden, sagte Bazoum in einem Interview der französischen Zeitung "Le Figaro": "Das Ende von Barkhane wird ein Vakuum schaffen, von dem Terroristen profitieren werden."

Gefahr durch Extremisten

Gleichwohl gilt Bazoum als jemand, der den Dialog sucht - auch mit Terroristen. Ende Februar wurden sieben freigelassen und - so berichten verschiedene Medien - anschließend im Präsidentenpalast empfangen. Auch müsse versucht werden, junge Männer daran zu hindern, sich den Extremisten anzuschließen.

Die Anschläge gehen jedoch weiter. "Die Sicherheitslage besorgt uns sehr", sagt auch Amadou, der für den nigrischen Staat arbeitet und ebenfalls seinen richtigen Namen nicht nennen will. Er lebt bereits seit mehreren Jahren in Niamey und nimmt in seinem Haus Binnenvertriebene auf. Jeden Tag hört er von neuen Übergriffen. "Es führt dazu, dass die Menschen nicht mehr zur Ruhe kommen. Sie können nicht mehr in ihren Häusern schlafen." Aus Angst vor Überfällen übernachten viele außerhalb der Dörfer. "In meinem Heimatdorf sind vor einigen Monaten mehrere Menschen ermordet worden", sagt er.

Was die Überfälle bezwecken sollen - nicht immer sind Dschihadisten verantwortlich, es kommt zu einer Mischung mit bewaffneten Banditen -, kann er nicht sagen. "Ich weiß nur, dass wir sehr darunter leiden." Über EIGS heißt es aus Mali, dass die Gruppe ganze Dörfer unter ihre Kontrolle gebracht habe, ihre radikalen Strukturen ausbaut und auch Steuern eintreibt. Durch die Region verlaufen auch viele Schmuggelrouten. Der Handel mit Drogen, Menschen und Waffen gilt als gutes Geschäft.

Die Situation in Niger könnte sich in den kommenden Wochen noch weiter verschärfen. Das Nothilfebüro der Vereinten Nationen (OCHA) warnte bereits im März, dass im laufenden Jahr etwa 15 Prozent der gut 24 Millionen Einwohner auf humanitäre Hilfe angewiesen sein werden. Hilfsorganisationen schätzen, dass Westafrika die schwerste Nahrungsmittelkrise seit zehn Jahren bevorsteht. Die Hilfsorganisation Oxfam geht von 27 Millionen Menschen aus, die dann Hunger leiden werden.

Quelle:
KNA