Die westliche Gesellschaft ist nach Einschätzung des künftigen Fuldaer Bischofs Michael Gerber (49) in einer Umbruchphase. "Die große Herausforderung für unsere Gesellschaft in Westeuropa ist zu begreifen, dass die Zeit einer relativen Stabilität vorbei ist", sagte Gerber am Dienstag vor Journalisten in Fulda.
Nach dem Zweiten Weltkrieg habe sich das Leben in der westlichen Welt jahrzehntelang "linear" entwickelt, bis mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ein großer Einbruch gekommen sei. Derzeit lebe man "in einer Phase, wo wir kaum sagen können, wie sieht eigentlich die nächste Woche oder das nächste Jahr aus", sagte Gerber unter Bezug auf die Diskussion um den Brexit oder das Verhalten von US-Präsident Donald Trump. "Wir erleben politische und religiöse Entwürfe, die auf Abgrenzung bauen, die polarisieren", so Gerber.
Kirche könne Schätze anbieten, was "gelingendes Leben" bedeute
Nötig seien daher "Persönlichkeiten, die mit diesen Umbrüchen und dieser großen Unsicherheit, was die Zukunft angeht, konstruktiv umgehen können". Hier könne die Kirche einen Beitrag leisten. Sie könne Schätze anbieten, was "gelingendes Leben" bedeute, so Gerber.
In kirchlichen Gruppen und Gemeinschaften könnten gerade junge Menschen die "Relevanz des Glaubens spüren", wenn es darum gehe, Lebenskrisen und Unsicherheiten zu bewältigen.
Priesteramtskandidaten psychologisch begleiten
Das Thema Missbrauch sei derzeit existenziell für die Kirche, sagte Gerber. Er sprach sich dafür aus, Kandidaten für das Priesteramt psychologisch zu begleiten. In Freiburg, wo er herkomme, habe beispielsweise die psychologische Begutachtung von Anwärtern für eine Ausbildung zum Priester dazu geführt, dass nur jeder zweite aufgenommen worden sei.
Generell sei auch für andere in der kirchlichen Seelsorge tätige Mitarbeiter eine "Seelsorge für Seelsorgende" von großer Bedeutung. Diese gelte es einzuführen. "Wir müssen auch später noch gut hinschauen", mahnte er.
Pilgern vor dem Amtsbeginn
In seiner bisherigen Tätigkeit sei er viel mit jungen Menschen unterwegs gewesen, sagte Gerber. Insbesondere auf Pilgerwegen habe er mit ihnen sehr gute Erfahrungen machen können. Darum werde er seine Amtseinführung auch am Freitag mit einem Pilgerweg beginnen, bei dem ihn 40 junge Menschen begleiteten. Am Samstag wird der Pilgerzug dann mit voraussichtlich 400 weiteren Gläubigen bis in den Dom zu Fulda fortgesetzt. "Das Pilgern hat mein Selbstverständnis als Priester und Bischof geprägt", sagte Gerber.
Zur Amtseinführung am Sonntag im Fuldaer Dom werden nach Angaben des Bistums insgesamt rund 1.500 Gäste erwartet, unter anderem Kardinal Reinhard Marx, der evangelische Bischof Martin Hein sowie der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU).
Papst Franziskus hatte den Freiburger Weihbischof am 13. Dezember zum neuen Bischof der Diözese Fulda ernannt. Er ist damit Nachfolger von Heinz Josef Algermissen (76), der am 5. Juni nach rund 17 Amtsjahren in den Ruhestand getreten war.