Seelsorge in Zeiten der Finanzkrise

Gott, Geld und die Wall Street

Die Finanzkrise zieht weiter seine Kreise: Nach dem Scheitern des Rettungspakets für den angeschlagenen Finanzkonzern Hypo Real Estate kämpft die Bank nun um ihre Existenz. Nicht nur in Manhattan ist die Krise Thema von Predigten und Gebeten. Seelsorge wird immer wichtiger.

Autor/in:
Konrad Ege
 (DR)

Die Trinity-Kirche in Manhattan steht einen Steinwurf weit entfernt von der New Yorker Börse. Jeden Tag wechseln an der Wall Street Aktien im Wert vieler Milliarden Dollar die Besitzer, seit einiger Zeit herrscht blanke Angst. Die Dreifaltigkeitskirche erlebt die Finanzkrise hautnah. Beim Morgengebet, beim Zwölf-Uhr-Gottesdienst und weiteren Besuchen finden die Mitarbeiter der Investmentbanken und Finanzberatungsfirmen Zuflucht im Gotteshaus.

Gegenwärtig kämen mehr als gewöhnlich, «um zu beten und nachzudenken», sagt Pastor Mark Brozutti-Jones. Trinity gehört der US-Episkopalkirche und der weltweiten anglikanischen Gemeinschaft an. Die Trinity-Gemeinde bietet den Börsianern spirituelle und psychotherapeutische Hilfe an. Die Betroffenen erlebten Trauer, erläutert Mary Ragan, die bei Trinity tätige Psychologin. «Sie haben ihr Geld verloren, ihren Job, ihre Identität, ihr Selbstbewusstsein und das Gefühl, die Dinge unter Kontrolle zu haben», sagt sie. Das könne zu schweren Depressionen führen.

Nicht nur in Manhattan ist die Finanzkrise Thema von Predigten und Gebeten und der Kaffeestunde nach dem Gottesdienst. Die theologischen Einschätzungen freilich gehen weit auseinander: Die einen hoffen, der Einbruch werde die Menschen zum Glauben bringen, andere geißeln Geiz und Habsucht. Weit verbreitet ist die Einschätzung, die Zahl der bei Kirchen Nothilfe Suchenden werde steigen.

Einbußen auch für die Kirchen
Zudem haben Kirchen selbst auf dem Aktienmarkt Einbußen erlitten. Schwierig ist es für die vielen kleinen Gemeinden in Städten, die tagein tagaus um Unterstützung gebeten werden, und selbst nur begrenzte Ressourcen haben. Viele Menschen im Umkreis seiner evangelikalen «Lamb's Church of the Nazarene» in Chinatown in Manhattan richteten «zunehmend verzweifelte Bitten um Hilfe» an die Kirche, sagt Gabriel Salgüro, Pastor der 140 Mitglieder starken Gemeinde in Chinatown in Manhattan.

Randy Gauger ist Pastor der «First Baptist Church» in Savoy, einer Kleinstadt in Illinois, weit weg von Manhattan. Es sei gewiss, dass viele seiner Gemeindemitglieder bei der Finanzkrise «einen Haufen Geld» verloren hätten, vor allem Senioren mit Erspartem. Beim Opfergeld habe er aber noch keinen Rückgang bemerkt. Seinen Gemeindemitgliedern sage er: Schwierige Zeiten testeten den Glauben, man müsse Gott erst recht vertrauen.

«Die finanzielle Landschaft verwüstet"
Albert Mohler, Präsident des «Southern Baptist Theological Seminary» in Louisville im Bundesstaat Kentucky, ein führender konservativer Theologe, warnt vor Panik. Der Kapitalismus habe mehr Reichtum gebracht als andere Systeme, und «die amerikanische Wirtschaft ist ein Wunder». Habsucht sei abzulehnen, aber «die Sehnsucht nach Profit» sei nicht Habsucht. Die Regierung solle so wenig wie möglich in den Markt eingreifen.

Pastor Mark Brozutti-Jones von der Trinity-Kirche sieht das nicht ganz so rosig mit dem Kapitalismus. Die «Reichen und Mächtigen» hätten die «finanzielle Landschaft verwüstet und viele Menschen hilflos, obdachlos, arm und verwundbar gemacht», sagt der Geistliche. Allerdings müssten sich auch der Verbraucher Fragen gefallen lassen. Viele Menschen seien anscheinend «schwach geworden» und hätten Darlehen aufgenommen, auch wenn klar hätte sein müssen, dass sie das Geld nie würden zurückzahlen können.

Vor dem 11. September 2001 stand die Trinity-Kirche im Schatten der Türme des World Trade Center. Zahlreiche Menschen suchten nach den Anschlägen Hoffnung bei Gebet und Gottesdienst. Aber lang angehalten hat die neue Frömmigkeit nicht nach 9/11. Schon bald waren die Kirchgangszahlen in New York wieder auf dem vorangegangen Niveau.