DOMRADIO.DE: Sie sitzen mit 25 anderen vor Ort auf dem Parkplatz A2, im Kirchenzelt und heißen alle Musikfans willkommen, die sich ausruhen oder unterhalten möchten oder Ruhe suchen. Das machen Sie nicht zum ersten mal, oder?
Philipp Hein (Gemeindereferent und Mitglied des Leitungsteams): Seitdem das Festival ein Jahr in Mendig stattgefunden hat und wieder zurück zum Nürburgring gezogen ist, ist unser Kirchenzelt am Ring mit dabei. Also seit 2017.
DOMRADIO.DE: Sie möchten einen 24-Stunden-Betrieb aufrechterhalten. Warum ist es Ihnen so wichtig, dass Kirche vor Ort ist und dann auch noch rund um die Uhr?
Hein: Es ist ganz unterschiedlich, was sich zu den unterschiedlichen Tages- und Nachtzeiten an Bedarf ergibt. Tagsüber wird häufig ein bisschen Klamauk gemacht, dann kommen die Leute und fragen, wieso Kirche da vertreten ist. Das wirkt auf viele irritierend.
Dann werden Fragen gestellt, man kommt miteinander ins Gespräch, führt Diskussionen und hat einfach eine gute Zeit. Und nachts häuft sich der Bedarf nach dem seelsorglichen Angebot, das es tagsüber nur vereinzelt gibt. Dann erzählen uns Menschen davon, wie sie gerade aus dem Krankenhaus zurückgekommen sind und nicht mehr wissen, wo ihr Zelt ist, oder von Unfällen, die passiert sind. Da ist es eben wichtig, dass wir ansprechbar sind.
DOMRADIO.DE: Kommen Menschen auch um Gebete mit Ihnen zu sprechen?
Hein: Das ist auch schon vereinzelt passiert, aber das ist nicht die Regel. Manchmal ist das ein bisschen wie beim Frisör. "Na, wer hat jetzt hier frei? Wo kann ich hin?" Manchmal werden wir aber auch ganz gezielt gesucht. Da war eine Frau und einer ihrer Angehörigen lag im Sterben. Sie hat sich gefragt, ob sie jetzt nach Hause fährt oder auf dem Festival bleibt. Sie wollte die gute Laune ihrer Freundin, mit der sie am feiern war, nicht verderben. Mit ihr haben wir überlegt, welche Möglichkeiten es gibt und ihre Problematik ausgelotet. Sie hat sich entschieden zu bleiben und sie kam dann tatsächlich später nochmal rein, als ihr Angehöriger verstorben war. Hier im Zelt hat sie einen Ort der Ruhe gefunden, eine Kerze angezündet und gebetet. Aber das sind Einzelfälle.
DOMRADIO.DE: Nehmen Sie auch schon mal die Beichte ab?
Hein: Nein, das nicht.
DOMRADIO.DE: Mit welchen Themen kommen die Menschen zu Ihnen, wenn sie ins Kirchenzelt kommen?
Hein: Das ist ganz unterschiedlich. Wir sind direkt an einem Hauptweg. Da kommen viele Leute vorbei und die fragen sich natürlich, was "Gott am Ring" ist. Die kommen einfach rein und sind neugierig. Oft haben sie auch die Erwartung, dass wir sie jetzt missionieren wollen. Wenn sie die haben, kommen sie häufig auch um dagegen zu feuern und sind dann ganz überrascht, wenn sie gefragt werden, ob sie einen Kaffee oder was anderes trinken wollen. So kommen wir ins Gespräch und merken, dass die Streitthemen der Kirche, das was die Leute an der Kirche stört und aufregt, gemeinsame Streitthemen sind. Das sind dieselben Themen, an denen wir auch dran sind.
Dann gibt es Leute, die das Zelt erkennen, die Jurte, wie sie häufig von Pfadfindern benutzt wird. Die erzählen, dass sie Pfadfinder irgendwo in Bayern sind und fragen, was wir machen, wie es bei uns mit der Jugendarbeit läuft. Wir haben außerdem ein gutes Verhältnis zu den Ordnern von Rock am Ring. Die schicken uns immer wieder Leute, die ein bisschen verloren aussehen und Hilfe gebrauchen können.
DOMRADIO.DE: Wir hatten jetzt auf DOMRADIO.DE eine Meldung, dass Festivals immer teurer werden. Ist das auch Thema bei Rock am Ring?
Hein: Wenn ich die Kartenpreise mit denen aus meiner Jugend vergleiche, ist es durchaus so, dass ich mir das als Jugendlicher oder junger Erwachsener gut überlegen würde, ob ich mir eine Karte kaufen würde. Im Zelt spüren wir das natürlich nicht, da sind ja nur die, die schon Karten gekauft haben, aber im persönlichen Umfeld sagen die Leute schon, dass ihnen das zu teuer ist und dass sie deswegen nicht zum Festival fahren.
DOMRADIO.DE: Bei Rock am Ring geht es um Rockmusik und es geht sehr laut zu. Gibt es da überhaupt die Möglichkeit, Ruhe herzustellen?
Hein: Wir sprechen immer von einem Ort relativer Ruhe. Mucksmäuschenstill ist es in keiner Ecke. Aber wir sind ein bisschen außerhalb, etwas versteckt, hinter dem Roten Kreuz, sodass wir nicht direkt im Trubel sind.
Etwas ruhiger ist es da, aber dann gibt es wieder die Gruppen, die Spaß haben und laut sind, mit Gitarren oder Musikboxen und auf der anderen Seite kommen Einzelne, die wirklich gerade ein Problem haben, über das sie sprechen möchten. Das kriegen wir aber auch irgendwie immer hin. Im Zweifel gehen wir mit den Menschen auch spazieren und schaffen es darüber, eine gute Gesprächsatmosphäre zu finden.
Das Interview führte Tobias Fricke.