Die Siedlung im Berliner Westen hat keinen guten Ruf: Gropiusstadt heißt sie, benannt nach dem weltberühmten Bauhaus-Architekten Walter Gropius, der ein Jahr nach dem Mauerbau 1962 die Idee hatte, auf der begrenzten Fläche möglichst viele Wohnungen zu errichten. Eine Massenwohnanlage entstand, 90 Prozent Sozialbauwohnungen. Seit den 1980er Jahren gilt die Gropiusstadt als sozialer Brennpunkt.

Die ersten Sozialwohnungen der Bundesrepublik wurden vor 75 Jahren in Schleswig-Holstein gebaut - es fehlten durch die Zerstörungen des Krieges in ganz Deutschland rund acht Millionen Wohnungen. In Neumünster entstand auf dem Gelände eines ehemaligen Militärflugplatzes der NS-Zeit die Böcklersiedlung - benannt nach dem damaligen Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Hans Böckler. Dieser hatte sich sehr für das Projekt engagiert.
Vor allem Kriegsflüchtlinge in erster Sozialbausiedlung
Die Grundsteinlegung am 5. März 1950 gilt als baulicher Beginn der systematischen Sozialen Wohnraumförderung in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Durch staatliche Subventionierung sollte Menschen, die ihren Bedarf durch ihr geringes Einkommen nicht am freien Markt decken konnten, geholfen werden. Auf 70 Hektar Grund entstanden in Neumünster zunächst 800 Wohnungen; als zentraler Ort der Siedlung und Einzelhandelszentrum wurde der Kantplatz errichtet. Hinzu kamen Banken, Geschäfte, eine evangelische Kirche, Kindergarten und Schule. Fast alle der Bewohner waren zuvor als Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten oder aus der Sowjetischen Besatzungszone gekommen.

Als Sozialwohnungen gelten staatlich geförderte Wohnungen, die zu einem günstigeren Preis vermietet werden. Um eine solche Wohnung zu mieten, benötigt man einen Wohnberechtigungsschein, der das niedrige Haushaltseinkommen belegt. Rund eine Million solcher Wohnungen existieren zur Zeit in Deutschland. Es müssten aber bis 2030 mindestens doppelt so viele sein, zeigt eine aktuelle Studie, die das Pestel Institut im Auftrag des Bündnisses Soziales Wohnen erstellt hat. Zudem fehlten 550.000 Wohnungen ohne Sozialbindung.
Problemhaushalte auf das ganze Stadtgebiet verteilen
Bei entsprechenden Bauvorhaben müsse eine soziale Durchmischung möglichst immer mitbedacht werden, sagt Tobias Just, Professor für Immobilienwirtschaft an der Universität Regensburg. "Wenn es zehn Problemhaushalte gibt und die treffen sich alle an einer Stelle, dann gibt es möglicherweise eher Probleme, als wenn sich die zehn Problemhaushalte alle im Stadtgebiet verteilen. Es ist also besser, wenn man das schon bei der Planung berücksichtigt und das eventuell über eine Quote regelt."
Der Wohnraum in Deutschland ist knapp geworden - und kostspielig. Viele Menschen haben nicht die Mittel, um eine Wohnung zu bezahlen. Hohe Zinsen, teures Material, Fachkräftemangel - es gibt viele Gründe, warum das Wohnungsbauen nur schleppend vorangeht. Auch die hohe Zuwanderung setzt den sozialen Wohnungsbau unter Druck.
Die Knappheit von Wohnungen verteuere sie und mache es für Menschen mit niedrigem und auch mittlerem Einkommen schwierig, den regulären Mietpreis von oft mehr als 30 Prozent des Nettoeinkommens zu zahlen, so Volkswirt Just. "Wohnen ist aber ein elementares Gut, es bietet Sicherheit, Schutz und auch Wärme", betont er. "Es ist nicht ersetzbar."
Bauen, bauen, bauen - das ist seiner Einschätzung nach das beste Mittel gegen den Mangel an sozialem Wohnungsbau. "Wenn es für alle genügend Wohnungen gibt, werden Sozialbauten unnötig", so Just. Damit dies funktioniere, dürfe es allerdings auch keine Zugangsprobleme zu Wohnraum etwa durch Diskriminierung geben, mahnte der Experte. Nach Angaben der Antidiskriminierungsstelle des Bundes werden Menschen wegen ihres Alters, ihrer Herkunft oder ihrer Religion bei der Wohnungsvergabe oftmals nicht berücksichtigt.
Nicht in die Fläche, sondern in die Höhe bauen
Um mehr Wohnungsbau zu erreichen, plädiert der Volkswirt auch für eine andere Art von Bauten. Flächen seien in den städtischen Ballungszentren knapp. Am einfachsten sei es deshalb, in die Höhe zu bauen. Mitunter müsse man in Kauf nehmen, dass sich das gewohnte Stadtbild verändert, "der Kirchturm nicht mehr Mittelpunkt ist" und eventuell auch, dass Wohnungen in Gewerbegebieten gebaut würden. "Das ist ja kein Naturgesetz, dass das nicht geht."
Schnelleres in die Höhe bauen sei etwa durch industrialisiertes Bauen möglich, so Just weiter. Dabei werden die Häuser aus Fertigteilen zusammengesetzt. "Das sind dann vielleicht keine architektonischen Kleinode, aber es ist kostengünstiger und nachhaltiger, weil die Teile wieder verwendbar sind."
Eine andere Möglichkeit ist theoretisch, sich mit weniger Platz pro Person zufrieden zu geben. Dies lasse sich aber politisch schwer durchsetzen, weil man letztlich, "jemandem etwas weg nimmt", so Just. Per Ordnungsrecht gehe es nicht, allenfalls per Mietrecht, also über steigende Mieten. "Die Anpassungsprozesse würden langsam und schmerzhaft ablaufen, daher ist Neubau meiner Ansicht nach die bessere Alternative", so Just.

Nach Einschätzung von Dietmar Walberg, Geschäftsführer beim Bauforschungsinstitut ARGE, muss auch bei Neubauten der Standard heruntergeschraubt werden. "Deutschland baut 'Premium-Sozialwohnungen'. Und die sind schlichtweg zu teuer", sagte er unlängst der "Berliner Morgenpost". Laut des Wohnungsbau-Forschers würden sich die Baukosten bei Sozialwohnungen um ein Drittel senken lassen: Einsparpotentiale sieht er etwa bei Klima- und Lärmschutz, Kellerräumen und Tiefgaragen.
Im Gegensatz zu früher sind die Wohnansprüche grundsätzlich deutlich gestiegen. In den 1950er Jahren war Wohnraum durch die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges deutlich knapper und die Dringlichkeit, zu bauen, viel größer. Noch in den 1970er Jahren hat demnach je Wohnung eine Person mehr gewohnt. "Wir wohnen heute deutlich größer und auch behaglicher mit mehr Annehmlichkeiten", so Just. Zuweilen werde diskutiert, ob nicht zwei Waschbecken pro Badezimmer in einer Familienwohnung Standard sein müsse.
Idee aus dem 16. Jahrhundert
Die Idee des Sozialen Wohnungsbaus ist übrigens schon alt: So gibt es in Augsburg mit der Fuggerei eine der ältesten bestehenden Sozialsiedlungen der Welt. Die Reihenhaussiedlung stiftete Jakob Fugger im Jahr 1521. Heute wohnen in den 140 Wohnungen der 67 Häuser 150 bedürftige katholische Augsburger Bürger für eine Jahres(kalt)miete von 0,88 Euro. Die Gegenleistung: Sie sprechen dafür täglich drei Gebete.