Südafrikaner fordern ein Ende des "Lockdown"

Seuche oder Hunger überleben?

In Südafrika, wo vor der Corona-Krise bereits jeder dritte arbeitslos war, steigt die Wut. Die Regierung müsse das Land öffnen, fordern Bürger und Experten. Andernfalls könnte es bald Hungertote geben. Auch die Kirche mahnt.

Autor/in:
Markus Schönherr
Coronatest in Südafrika / © Themba Hadebe (dpa)
Coronatest in Südafrika / © Themba Hadebe ( dpa )

Händler wurden von den Straßen verbannt, Büros bleiben leer. Supermarktangestellte eilen nach Hause, ehe 70.000 Soldaten mit Schlag acht Uhr die nächtliche Ausgangssperre überwachen. "Rettet Südafrika: Beendet den Lockdown", titelte am Wochenende die größte Sonntagszeitung des Landes.

In der Kap-Republik wächst mit jedem Tag die Schar derer, die eine Lockerung der strengen Corona-Maßnahmen fordern. Viele Ökonomen, Unternehmer und Ärzte sind sich einig, dass eine Verlängerung der Ausgangsbeschränkungen das Virus nicht aufhalten werde - stattdessen aber Hunger und andere Krankheiten schüre.

Südafrika ist von allen Ländern des Kontinents am stärksten von der Corona-Pandemie betroffen. Am Wochenende stieg die Zahl der Infizierten erstmals binnen 24 Stunden um mehr als 1.000 an.

Bislang knapp 16.000 Infizierte

Insgesamt gibt es bislang knapp 16.000 Infizierte. Präsident Cyril Ramaphosa kündigte vergangene Woche in einer TV-Ansprache die schrittweise Wiederöffnung des Landes an. Das gelte allerdings nicht für jene Städte, die sich nach fast zwei Monaten "Lockdown" als Corona-Epizentren herausstellten. Die Region rund um Kapstadt verzeichnet mehr als die Hälfte aller Corona-Fälle.

Dennoch hat Alan Winde, Ministerpräsident der Provinz Westkap, der Regierung in Pretoria jetzt den Kampf angesagt: Mit einem gut vorbereiteten Gesundheitssektor sei es "einfach unmöglich", Läden und Betriebe weiter geschlossen zu halten. "Die Wirtschaftskrise, die durch diese Restriktionen hervorgerufen wurde, zieht ein lebensbedrohendes humanitäres Desaster nach sich", so der Politiker der Democratic Alliance (DA).

Die Corona-Krise hat erneut die politischen Fronten verhärtet: In ihrer Kapstädter Hochburg die liberale Oppositionspartei, in der Hauptstadt Pretoria die Regierungspartei African National Congress. Der ANC warf Premier Winde nun vor, Wirtschaftsinteressen über Menschenleben zu stellen.

Auch in der Hafenmetropole Durban an der Ostküste greift das Coronavirus um sich. Doch wie derzeit überall im jungen Schwellenland ist es hier nur ein schmaler Grat zwischen den Übeln von Hunger und Seuche. "In normalen Zeiten ist Ernährungssicherheit kein Thema. Selbst wenn es den Menschen nicht übermäßig gut geht, schaffen sie es zu überleben", sagt Raymond Perrier, Direktor des Denis Hurley Centre.

Die Organisation des 2004 gestorbenen Erzbischofs Denis Hurley kümmert sich vor allem um Obdachlose. Nun kommen in ihre Suppenküchen immer öfter auch Händler und Tagelöhner, die seit Wochen kein Einkommen mehr haben.

Regierung in Pretoria gerät unter Druck

Der katholische Pfarrer David Rowan aus Johannesburg macht zudem auf das Schicksal vieler Migranten in Südafrika aufmerksam. "Viele unserer Gemeindemitglieder sind Ausländer und arbeiteten vor dem Lockdown in den Geschäften unseres Bezirks. Jetzt haben sie kein Geld, um Lebensmittel zu kaufen, und auch keinen Anspruch auf staatliche Hilfe."

Die strengen Corona-Maßnahmen lockern oder Leben retten? Laut Forschern der Universität Witwatersrand bei Johannesburg seien diese Maßnahmen in Südafrika keine Gegensätze. "Denn eine lange Abriegelung kommt mit erheblichen Kosten für die Gesundheit", warnte die Gruppe nun in einem Offenen Brief.

Kinder verpassten wegen der Ausgangsbeschränkungen ihre Immunisierungsimpfungen; viele der vier Millionen HIV-Patienten hätten keinen Zugang zu Medikamenten. "Es gibt auch Anzeichen, dass die Erfolge, die wir in den vergangenen Jahren gegen Tuberkulose erzielten, gerade zunichte gemacht werden."

Die Regierung in Pretoria gerät unter Druck. In einem Expose erhebt die südafrikanische "Sunday Times" Vorwürfe, wonach die Regierenden den Rat ihrer eigenen Experten ignorierten. Einer der führenden Ärztinnen des Landes zufolge, Glenda Gray, hätten viele Maßnahmen der Behörden "keine wissenschaftliche Grundlage" - und brächten mehr Schaden als Nutzen. Gesundheitsminister Zweli Mkhize weist den Vorwurf zurück. Die oppositionelle DA jedenfalls kündigte an, die Notstandsgesetze vor dem Verfassungsgericht anzufechten.


Coronavirus-Prävention: Taxifahrer mit Mundschutz in Südafrika / © Themba Hadebe (dpa)
Coronavirus-Prävention: Taxifahrer mit Mundschutz in Südafrika / © Themba Hadebe ( dpa )

Hände waschen: In Südafrika ein Problem / © Riccardo Mayer (shutterstock)
Hände waschen: In Südafrika ein Problem / © Riccardo Mayer ( shutterstock )
Quelle:
KNA