Eine Einschätzung zu den wichtigsten Themen für die Kirche 2022

"Sich um Glaubwürdigkeit bemühen"

Synodaler Weg, Finanzen und die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt – auch 2022 sind das die Hauptthemen für die Kirche. DOMRADIO.DE-Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen schätzt ein, wie sich diese Punkte weiterentwickeln.

Wie wird das Jahr 2022 für die Kirche? (shutterstock)
Wie wird das Jahr 2022 für die Kirche? / ( shutterstock )

DOMRADIO.DE:  2021 ging es für Papst Franziskus gleich dreimal über die italienischen Grenzen in fünf Länder, darunter auch der Irak. Wohin geht es denn für den Papst im kommenden Jahr?  

Ingo Brüggenjürgen (Chefredakteur DOMRADIO.DE): Das steht natürlich auch alles wieder unter dem Vorbehalt von Corona. Im ersten Corona-Jahr, 2020, blieb der Papst buchstäblich allein im Vatikan sitzen. Es ging nur einmal nach Assisi. In 2021, dem zweiten Corona-Jahr, war der Papst schon reisefreudiger: Irak, Ungarn, die Slowakei und – wegen seines Herzensthema, den Flüchtlingen – ging es nach Zypern und Lesbos. 

Für das neue Jahr muss man berücksichtigen, dass der Papst jetzt 85 Jahre alt ist. Trotzdem wird er, wenn er seinen Ankündigungen, die er in seinen Interviews gegeben hat, Folge leisten wird, auch weiter reisen. Erwartet werden Reisen in den Kongo, nach Papua-Neuguinea, Osttimor oder Ozeanien. Das sind zumindest die Ziele, die er in einem Interview im Oktober signalisiert hat. Franziskus ist also keineswegs müde und folgt seinem Programm: Die Ränder in den Mittelpunkt holen. Damit will er Aufmerksamkeit auf Gebiete lenken, die sonst wenig bis gar nicht im Blickpunkt stehen. Vielleicht wird auch sein lang gehegter Wunsch einer Reise in den Sudan möglich, so spekulieren Beobachter.  

DOMRADIO.DE: Was dürfte den Papst, abgesehen von Auslandsreisen, sonst im kommenden Jahr beschäftigen? Welche Themen und welche Termine stehen an? 

Brüggenjürgen: Das Thema Corona wird natürlich weiterhin aktuell bleiben. Ansonsten stehen die großen Themen auf der Tagesordnung des Vatikan und die Themen, die dem Papst am Herzen liegen – wie Flüchtlinge und Migration, das ganze Thema Frieden und Gerechtigkeit und der Einsatz für den Umweltschutz und das Klima. All das wird er weiter auf seiner Agenda haben. Vermutlich wird es im neuen Jahr auch wieder ein Konsistorium geben - also neue Kardinäle im neuen Jahr, worauf wir uns freuen dürfen. 

Zusätzlich hat der Heilige Vater seiner Kirche noch eine Weltsynode verordnet. Da laufen jetzt die entsprechenden Befragungen in den einzelnen Erdteilen, genauer gesagt in den Diözesen. All das wird im kommenden Jahr nach Rom zurückgespielt werden. Das Thema Synodalität bleibt also bestimmend für den innerkirchlichen Prozess.  

DOMRADIO.DE: Ein weiteres Thema, das vielleicht nicht ganz so genau, aber doch mit Spannung verfolgt wird, ist die Reform des Finanzprozesses im Vatikan und der Fortgang eines Strafprozesses wegen einer Finanzaffäre im vatikanischen Staatssekretariat. Ende Januar soll es da weitergehen. Was ist zu erwarten?  

Brüggenjürgen: Das ist eines der unangenehmen Themen, die die Kirche nicht loslässt. Es geht um Amts- und Machtmissbrauch, um Korruption und um Veruntreuung. Finanziell geht es um rund 350 Millionen Euro, die im Zusammenhang mit einer Luxusimmobilie in London mutmaßlich investiert wurden. Aktuell ermittelt die interne vatikanische Staatsanwaltschaft. Die Ermittlungen werden Ende Januar eben dem vatikanischen Gericht vorgelegt. Für vatikanische Verhältnisse wird das ein Mammutprozess, den der Vatikan bisher noch nicht gesehen hat. 

Auch wir werden den Prozess mit Interesse begleiten, auch weil erstmals ein italienischer Kardinal mitangeklagt ist. Man muss dem Vatikan allerdings zugutehalten, dass das Ganze durch interne Untersuchungen enthüllt wurde, die Papst Franziskus vor nunmehr drei Jahren eingeleitet hat. Es gibt also doch einige Sachen im Vatikan, die gut funktionieren. Ein weiteres unschönes Thema für den Papst im kommenden Jahr wird natürlich auch das Thema der Aufarbeitung der sexualisierten Gewalt und Missbrauch sein. Dementsprechend wird das nach wie vor weit oben auf der Tagesordnung stehen. 

DOMRADIO.DE: Schauen wir nun auf Deutschland. Der Synodale Weg – der Reformprozess innerhalb der katholischen Kirche – ist in vollem Gange. Im September wurde sich in Frankfurt zur zweiten Synodalversammlung getroffen. 13 Papiere wurden dort in erster Lesung beraten. Darin wurde unter anderem eine Demokratisierung der Kirche, Rechtswege für einzelne Katholiken gegenüber der Hierarchie und die Mitwirkung von Nichtgeweihten in einem bundesweiten Synodalen Rat gefordert. Wie geht es weiter mit diesen Forderungen und dem Reformprozess insgesamt? 

Brüggenjürgen: Der ganze Synodale Weg ist ein bisschen unter die Corona-Räder geraten, aber es geht zielstrebig weiter. Das ist natürlich ein schwieriges Verfahren, was man sich da verordnet hat. Es geht um Papiere, um Abstimmungsprozesse und insgesamt die richtigen Reformschritte. Denn wir müssen einfach mal festhalten, dass viele Laien einen großen Reformstau beklagen, wo einfach gesagt wird: Wir müssen doch jetzt mal weiter kommen. Das sind Fragen, die teilweise 30, 40 Jahre auf der Tagesordnung stehen. Genau diese Fragen werden auf diesem Synodalen Weg gemeinsam von Bischöfen und Laien abgearbeitet. 

Als Beobachter, der bei allen Synodalversammlungen dabei war, kann ich sagen, dass mit einer großen Wahrhaftigkeit und mit einem ehrlichen Austausch an den Fragen gearbeitet wird. Hier sind die Laien für die Zukunft gut aufgestellt. Sie haben eine neu gewählte Präsidentin, vier Vizepräsidenten und eine Menge Tatendrang.

Wenn wir da auf die Bischöfe schauen, sieht es anders aus. Die Hirten sind in ihren einzelnen Diözesen mit der Missbrauchsaufarbeitung beschäftigt. Entweder weil sie das noch vor sich haben oder eben schon angegangen sind. Das wird spannend zu beobachten sein, wie der Synodale Weg weitergeht. Denn es gibt gar keine Alternative dazu. 

DOMRADIO.DE: 2021 war in Köln ein Rekordjahr, zumindest nach den Kirchenaustritten zu urteilen. Mehr als 20.000 Menschen haben allein im vergangenen Jahr ihren Austritt aus der katholischen oder der evangelischen Kirche in Köln erklärt. Ist das ein Trend, an den wir uns gewöhnen müssen? 

Brüggenjürgen: Da kann sich kein Christ dran gewöhnen. Ich kann nur an alle appellieren, die jetzt über einen Austritt nachdenken: Tun Sie es nicht, Sie werden gebraucht. 

Wir haben eine so wichtige und gute Botschaft - da braucht es jede und jeden! Es ist wichtig zu bemerken, dass überall die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauches läuft, auch im Erzbistum Köln. Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki hat ganz früh entsprechende Pflöcke eingeschlagen. Ja, es sind viele und auch gravierende Fehler gemacht worden. Dafür wurde Woelki, der derzeit eine Auszeit nimmt, vom Vatikan und anderen wie aktuell vom Jesuit Hans Zollner, dem Kinderschutzbeauftragten im Vaktikan, kritisiert. 

Aber alles in allem wird es ein spannendes Jahr für das Erzbistum Köln. Allein die Frage, wie es mit dem Kölner Kardinal weitergeht: Kommt er zurück? Einige sagen, ja. Andere sagen, er kommt überhaupt nicht zurück; wieder andere, er könne gar nicht zurück. Insofern wird auf Köln geschaut, weil dieser ganze Aufbereitungsprozess mit all seinen Folgen bundesweit und darüber hinaus Beachtung gefunden hat. 

Ich will da gar keine Prognosen abgeben. Ich hoffe nur, dass es für alle Beteiligten ein guter Weg nach vorne ins Jahr 2022 wird. Dieser Weg kann gelingen, wenn alle sich um Glaubwürdigkeit bemühen. Denn das ist das A und O. Ein glaubwürdiger Neuanfang, der notwendig ist, damit Kirche wieder glaubwürdig das Evangelium in diese Zeit sprechen kann. 

Das Interview führte Moritz Dege. 


Ingo Brüggenjürgen / © Nicolas Ottersbach (DR)
Ingo Brüggenjürgen / © Nicolas Ottersbach ( DR )
Quelle:
DR