Erzbischof Heiner Koch spricht über "Gaudete"

"Sich zu freuen ist auch eine Entscheidung"

Freut euch! Bald ist es so weit! So lautet die adventliche Verheißung am dritten Adventssonntag. Wie die Freude sein Leben bestimmt und dass Freude auch das Ergebnis eines Lernprozesses sein kann, erklärt Erzbischof Koch im Interview.

Erzbischof Heiner Koch / © Christoph Busse (KNA)
Erzbischof Heiner Koch / © Christoph Busse ( KNA )

DOMRADIO.DE: Herr Erzbischof, als Sie 2006 zum Bischof ernannt wurden, stand für Sie schnell fest, dass in Ihrem Bischofswappen die Freude ihren Platz haben soll. Sie entschieden sich für ein Wort des Apostels Paulus an die Philipper, durch das der heutige dritte Adventssonntag "Gaudete" benannt ist: Gaudete semper dominus prope – Freut euch allezeit, der Herr ist nahe. Warum war Ihnen das so wichtig?

Dr. Heiner Koch (Erzbischof von Berlin): Die Freude und das Frohsein sind gleichsam ein Teil meines Lebens geworden. Die Freude gehört zu meinem geistlichen Selbstverständnis und zur Grundmelodie meines Lebens – Gott sei Dank! Sie ist mir als Grundstimmung mit ins Leben gegeben, und ich habe sie entfaltet. Wenn ich da an den Kanon denke "Froh zu sein bedarf es wenig, und wer froh ist, ist ein König", finde ich mich darin wieder. Was wir da singen, entspricht meiner persönlichen Lebens- und Glaubenserfahrung.

Und deshalb auch dieses Paulus-Wort in meinem Wappen, das ja ein Kernsatz der christlichen Botschaft ist: Sich zu freuen, weil die Ankunft des Herrn in unser Leben geschehen ist, bringt den ganzen Glauben auf den Punkt. "Freut euch allezeit“ ist eine Aufforderung. Das heißt, das hat etwas mit Entscheidung zu tun, auch mit einer Glaubensentscheidung. Hier geht es um kein Gefühl, das irgendwann kommt, wieder geht und eher zufällig da ist, sondern schlichtweg um eine Einladung – mit der Begründung, dass der Herr nahe ist. Gott ist uns nahe – diese Feststellung ist die große spezifische Botschaft des christlichen Glaubens: nicht in dem Sinne, dass es einen Gott gibt, der irgendwo fern von uns als ein letzter Sinn existiert, sondern der uns als Mensch gewordener Gottessohn nahe ist. Das ist für meine Spiritualität – auch in dunklen Stunden – eine mich tragende Gewissheit.

Und davon versuche ich auch den Menschen hier in Berlin zu erzählen, die das nicht für möglich halten. Gerade hier merke ich – angesichts der Pandemie, aber auch anderer offensichtlichen Not – dass die Menschen aus einem solchen Zeugnis Hoffnung schöpfen und der eine oder andere auch schon mal denkt: Na ja, vielleicht ist da ja doch etwas dran, dass Gott mir nahe ist.

DOMRADIO.DE: Als Sie vom Rhein an die Spree wechselten, bekamen Sie oft das Attribut "Rheinische Frohnatur" verpasst. Sie sind dafür bekannt, dass Sie gerne Karneval feiern, Humor haben und auch sonst das Leben schon mal von der leichteren Seite nehmen. Wird einem das in die Wiege gelegt oder ist das nicht auch eine Haltung – zumal als Christ, der sein Leben an der "Frohbotschaft", dem Evangelium, ausrichten sollte?

Koch: Meine Eltern kommen aus Schlesien, da wird man nicht mit dem Karneval groß. Erst in Düsseldorf, wo wir als Kinder den ersten Rosenmontagszug erlebten und die Tage zwischen Weiberfastnacht und Veilchendienstag immer eine tolle Zeit waren, bin ich in diese Tradition hineingewachsen. Aktiv zum Karneval gefunden aber habe ich dann erst in Köln als Generalsekretär des Weltjugendtages, als wir in der Vorbereitung auf das kirchliche Großereignis 2005 darum gekämpft haben, dass es ein Karnevalsmotto geben sollte, das auf den WJT Bezug nimmt – was uns mit "Pänz us aller Welt fiere in Kölle" schließlich auch gelungen ist.

In dieser Zeit entstand dann auch eine Nähe zu den Karnevalsvereinen, speziell zur Prinzengarde Köln, die uns damals sehr unterstützt hat. Diese Verbindung ist später noch gewachsen, so dass ich heute immer noch gerne mit dabei bin. Dass es speziell im Rheinland diese besondere Beziehung zwischen Kirche und Karneval gibt, hat mir aber immer schon gefallen.

Trotzdem wurde mir erst zunehmend klarer, dass das Leben als Christ viel grundlegender mit Freude zu tun hat, weil doch das Evangelium, die frohe Botschaft, im Mittelpunkt unseres Lebens steht. Wobei "Frohbotschaft" ja nicht blinder Optimismus bedeutet oder eine Art Comedy-Denken – mir graut es vor nichts mehr als vor solchen Sendungen, in denen das Lachen automatisch dazugeschaltet wird, obwohl einem manchmal mehr nach Weinen zumute ist.

Die Freude des Evangeliums meint vielmehr etwas anderes: Sie ist – wie gesagt – eine Entscheidung, eine Glaubensentscheidung. Glaube ich, dass Gott mir nahe ist, dass er mir die Hand reicht, mich nicht fallen lässt? Glaube ich, dass er mich im Tod in sein himmlisches Leben ruft? Aus diesem Entschluss erwächst dann die Haltung, dass ich mein Leben mit Gott gehe, mich immer wieder auf ihn besinne, zu ihm bete, mit ihm spreche, mich an ihm orientiere. Also, ein Leben aus dieser Frohbotschaft heraus ist ein Glaubensakt, eine Entscheidung, die ich für mich persönlich immer wieder neu treffe. 

DOMRADIO.DE: Alles hat seine Zeit, heißt es bei Kohelet. Manche werden im Verlauf des Lebens vielleicht genügsamer, andere in späteren Jahren zunehmend unzufriedener. Ist auch die Freude Schwankungen unterworfen? Verändert sie sich, je älter man wird?

Koch: In der Tat: Es gibt Menschen, die werden im Laufe des Lebens immer froher und andere immer griesgrämiger. Unterschiedliche Stimmungen in unterschiedlichen Lebenslagen kennt ja jeder von sich. Auch in meiner Familie wurde ich schon mehrmals mit Krankheit und Tod konfrontiert. Da spricht man dann nicht mehr so schnell von Freude. Aber danach, wenn man sich richtig besinnt und diese bedrückenden Belastungen durchlebt hat, kann es auch wieder Momente der Freude geben, die nicht am Aschermittwoch aufhört und die, gerade weil der Herr nahe ist, in jedem Seelenzustand trägt. Echte Freude ist mehr als eine Stimmung, eine Atmosphäre. Damit wären wir wieder beim Thema: dass jeder für sich zur Freude aus dem Glauben eine Grundsatzentscheidung treffen muss.

Ein ganz typisches Bild sind für mich in diesem Kontext der Karfreitag und Ostern. Die beiden Tage gehören nun mal ganz eng zusammen: Die Freude des Osterlachens gäbe es nicht ohne den Karfreitag, und der Karfreitag ohne Ostern wäre eine furchtbare Katastrophe. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, Freude und Frohsein – das ist ein Lernprozess. Freude ist kein Selbstläufer und kein Automatismus. Man lernt – auch in den Schwankungen des Lebens mit seinen Tiefen – froh zu sein, auch wenn es manchmal richtig schwer ist. Wie überhaupt das ganze Leben ein Lernprozess ist: Man bearbeitet Dinge, die auf einen zukommen, man verarbeitet Entscheidungen und Erfahrungen – positive wie negative. Und schließlich auch Schicksalsschläge. All das integriert man, bedenkt man, durchbetet man. Vor einem solchen Hintergrund wird die menschliche Freude reifer.

Und dann bekommt man im Laufe der Jahre auch so manchen Kniff heraus, was die konkrete Lebensgestaltung aus dieser Freude betrifft. Ein Beispiel: Es gibt den Satz "Wenn Dir das Leben eine Zitrone gibt, mach Limonade daraus!" Mit anderen Worten: Nimm das Leben mit seinen Höhen und Tiefen an und gestalte es gut, soweit Dir das möglich ist. Da ist sie wieder: die Option, sich zu entscheiden. Will ich untergehen? Oder will ich beherzt und mit Freude leben, also eine schwere Situation annehmen und sie in der Freude des Glaubens und auch des Vertrauens leben? Ob ich das eine oder das andere wähle, hat ganz allein mit mir zu tun.

DOMRADIO.DE: Freude bleibt meist ja auch nicht ohne Wirkung. Sie macht etwas mit anderen…

Koch: Genau. Das ist ja das Erstaunliche. Die Freude wächst, je mehr ich sie verschenke. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Am frohsten bin ich immer gewesen, wenn ich andere froh machen konnte. Wenn man etwas teilt, wird es nicht weniger, sondern mehr, und ich werde umso reicher – auch wenn das gegen die Lebensphilosophie unserer Zeit steht. Das ist eine tiefe Erfahrung, die auch in schweren Stunden hilft.

Freude ist zudem immer das Ergebnis von etwas. Man kann in seinem Leben kämpfen, durchhalten, nicht aufgeben lernen. Dann steht Freude oft am Ende eines Prozesses. Die Grundfrage bleibt jedoch: Entscheide ich mich, froh zu sein, weil der Herr nahe ist, oder entscheide ich mich dagegen? Hier in Berlin erfahre ich jedenfalls, was es für mich bedeutet, die Freude aus dem Glauben gefunden zu haben. Für viele Menschen in dieser Stadt ist Gott keine Lebensrealität und nur ein Wort mit vier Buchstaben. Wenn ich aber Freude erlebe, spüre ich umso mehr, was mir doch mit meinem Glauben und dem Trost, der in ihm steckt, geschenkt ist.

DOMRADIO.DE: Der Advent ist eine Zeit der Erwartung und der Vorfreude, der bekanntlich schönsten Freude. Können Sie diese in der Hektik des Alltags überhaupt noch genießen und was ist Ihnen persönlich im Advent besonders wichtig?

Koch: Ich genieße die Adventszeit immer sehr: angefangen beim Schmücken meiner Wohnung über die vielen Kerzen überall bis hin zum Aufstellen eines Adventskalenders und dem Anzünden des Adventskranzes jeden Tag in meinem Büro. Ich lebe ohnehin das ganze Jahr über aus dem Brauchtum, aus den guten jahreszeitlichen Gewohnheiten. Und dann freue ich mich im Advent auch immer auf die Rorate-Messen, zu denen ich wenigstens zweimal in der Woche in aller Herrgottsfrühe fahre, um in meinem Bistum Menschen, darunter übrigens auch viele junge Leute, im Gebet zu treffen. Außerdem macht es mir große Freude, in Ruhe Weihnachtsgeschenke auszusuchen, womit ich oft schon im Herbst anfange, wenn ich gerade etwas Schönes finde, das mir für jemanden passend erscheint.

Das Wichtigste aber ist mir immer ein Adventsvorsatz: Schon im letzten Jahr hatte ich mir überlegt, jeden Tag an jemanden einen Brief zu schreiben und ihn damit zu überraschen. Das ganze Jahr über führe ich eine Liste mit Menschen, denen ich im Laufe des Jahres begegne, die sich in einer schwierigen Lebenssituation befinden und von denen ich denke, dass ihnen ein solcher handgeschriebener Brief gut tun würde. Alle Briefe kommen dann zunächst in eine Adventskiste und werden erst vor Weihnachten verschickt. Dabei geht es mir nicht darum, nur irgendetwas – also etwa einen belangslosen Gruß – zu formulieren, sondern ein Stück meines Lebens mit dem Adressaten meines Briefes zu teilen. Mir dafür Zeit zu nehmen, macht mich einfach unsagbar froh. Ich betrachte das als Geschenk, nicht als Pflicht. Man kann sagen, alles das in der Summe trägt meine Adventstage und prägt meine Vorfreude auf das Weihnachtsfest.

DOMRADIO.DE: Am dritten Adventssonntag feiert die Kirche – analog zum Laetare-Sonntag in der Fastenzeit – den Gaudete-Sonntag. Was verbirgt sich dahinter?

Koch: Auch die Adventszeit ist ja ursprünglich eine Art Fastenzeit – nur auf das Weihnachtsfest hin; eine Zeit, in der in den Evangelien auf besondere Weise die Freude aufstrahlt. Deshalb trägt der Priester an diesem dritten Adventssonntag auch die liturgische Farbe rosa – als Zeichen der Freude. Am Gaudete-Sonntag strahlt schon das Weihnachtsfest in die Adventszeit hinein und zeigt, dass alles zum großen Licht hinstrebt. Von dem bevorstehenden Freudentag klingt nicht nur im Philipper-Brief an diesem Sonntag etwas an.

Auch bei Jesaja heißt es: Freut euch und jubelt, in eurer Mitte ist der Herr. Das alles sind wunderbare Texte, die zum Ausdruck bringen: Wir nähern uns Weihnachten. Am Gaudete-Sonntag sehen wir uns auf dem Weg zur Freude. Gleichzeitig ist der Advent aber auch eine Zeit der Umkehr, der Erneuerung, der Buße – allerdings immer auf der Hintergrundfolie der Freude. Noch einmal: Letztlich läuft alles auf die Weihnachtsfreude hinaus; die Engel werden singen, und über der Krippe im Stall wird ein Stern leuchten.

Wer aber diesen Fixpunkt, diesen Pol aus den Augen verliert, geht in die falsche Richtung und verliert den Kern des Glaubens, seine Orientierung, den Halt und auch jegliche Freude. Weihnachten ist das Fest der Freude – aber es ist Nacht, als Jesus geboren wird. Das ist ein Bild für Dunkelheit, Armut und die existenzielle Not des Menschen. Trotzdem singen wir an Weihnachten Freudenlieder, wie etwa: Freut euch, ihr Christen! Daran, dass wir auf dem Weg zu dieser Freude sind, erinnert uns dieser dritte Adventssonntag sehr deutlich. Und mir wird an einem solchen Tag immer auch bewusst, dass der Glaube und die Freude ein Geschenk sind; etwas, das – bei aller Anstrengung – nicht machbar ist.

DOMRADIO.DE: Angesichts der vielen Katastrophen um uns herum – wenn ich da nur an die Flutopfer denke, die nach fünf Monaten immer noch ihr Trauma verarbeiten müssen, oder die mit Spitzenwerten wütende Pandemie mit unzähligen Kranken und Toten und, nicht zu vergessen, die Kriege und Hungersnöte in weiten Teilen der Welt – darf man sich da überhaupt noch unbelastet freuen? Oder ist Freude inmitten dieses Elends nicht zu einem Anachronismus unserer Tage geworden?

Koch: Es kommt darauf an, wie man Freude versteht. Wir haben ja aus dem Wahlkampf noch frisch in Erinnerung, was Lachen im falschen Moment anrichten kann. Aber darum geht es ja eben gerade nicht: um eine belanglose, lächerliche, oberflächliche Freude oder eine, die Leid nicht wahrnimmt und in die man sich aus Leichtsinn oder falschem Übermut flüchtet. In unserem christlichen Glauben und bei meinem Bischofswort geht es um eine Freude, die bleibt, obwohl es einem vielleicht im Moment nicht gut geht, obwohl es genügend Gründe gibt zu leiden und traurig zu sein. Gerade an den  dunklen Tagen, in Momenten ohne Licht, ist es ein wirkliches Glaubenszeugnis, wenn man dennoch – vielleicht sehr still – aus einer inneren Freude lebt. Noch einmal – der Gedanke ist mir ganz wichtig – wir feiern jetzt "Weih-nachten", die Betonung liegt auf Nacht, die für viele Menschen in ihrem Leben traurige Realität ist.

An diesem 19. Dezember werde ich wieder bei dem Gedenkgottesdienst zum Jahrestag des Attentats auf dem Breitscheidplatz dabei sein. Auch bei der Erinnerung an dieses schreckliche Verbrechen geht es um die Erfahrung von "Nacht". Ja, damals und auch heute noch ist es Nacht in Berlin – so wie es damals Nacht in Bethlehem war. Dennoch dann die Hoffnung nicht aufzugeben, ist unser christliches Glaubenszeugnis; schließlich brauchen wir ja nicht die Verdoppelung der Trostlosigkeit. In solchen dunklen nächtlichen Stunden ist unsere Freude – die stille Freude, die mitleidende Freude – das eigentliche Glaubenszeugnis. Denn es handelt sich ja – wie gesagt – nicht um eine auf billigen Effekt hin ausgerichtete Heiterkeit, sondern um eine Hoffnung, dass von Gott alles zum Guten gewendet wird. Davon bin ich fest überzeugt. Und diese Hoffnung auf eine ewige Freude müssen wir als Christen in unserer säkularen Gesellschaft, die den Grund unserer Freude – nämlich: Gott ist uns nahe – nicht mehr kennt oder sogar von sich weist, hochhalten. Das ist unser Dienst an den Menschen, unsere Hauptaufgabe als Christen. Ohne solchen Trost wären alle, die auf der Schattenseite des Lebens stehen, die Leidenden und Entrechteten, hilflos verloren. Wer – wenn nicht wir – sollte eine solche Hoffnung sonst auch bezeugen!

Das Interview führte Beatrice Tomasetti

 

Gaudete: Dritter Adventssonntag / © Beatrice Tomasetti (DR)
Gaudete: Dritter Adventssonntag / © Beatrice Tomasetti ( DR )
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DR