DOMRADIO.DE: Sie waren erst im Oktober in Haiti. Wie geht es denn den Menschen dort, sieben Jahre nach dem Erdbeben?
Margit Wichelmann (Haiti-Referentin beim katholischen Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat): Wenn man heute durch die Stadt Port-au-Prince fährt, könnte man das Gefühl haben, dass sich schon einiges getan hat. Die Trümmer sind verschwunden. Es sind nicht mehr so offensichtlich Zeltlager verhanden, auch, wenn nach wie vor Menschen in Zelten leben. Es wurden auch schon einige Gebäude wieder aufgebaut.
Aber der Schein trügt, weil sich die Situation für die Menschen im Land überhaupt nicht verbessert hat. Die Preise sind massiv gestiegen. Ganz viel von der zerstörten Infrastruktur wartet noch auf den Wiederaufbau. Man sieht die Lücken nur nicht mehr so offensichtlich. So ist die Situation sieben Jahre nach dem Erdbeben weiterhin ganz schwierig für die Menschen vor Ort.
DOMRADIO.DE: Haiti wird ja immer wieder von Naturkatastrophen heimgesucht. Vor drei Monaten erst hatten wir Hurrikan Matthew, der fegte über den Südwesten des Karibikstaats hinweg, hinterließ auch da wieder Tod und Verwüstung. Wie kommt es, dass die Folgen dort immer noch so dramatisch sind?
Wichelmann: Das liegt daran, dass Haiti quasi chronisch in einer politischen und sozialen Krise steckt. Wenn solche Naturkatastrophen ein armes Land treffen, sind es immer die Ärmsten, die am meisten verlieren. Die Regierung ist nicht in der Lage, den Wiederaufbau oder auch die Katastrophenhilfe gut zu steuern und die eingehenden Spendengelder gut zu kanalisieren.
Und auch die Armut führt ja dazu, dass Katastrophen viel härter zuschlagen als in Ländern, die besser gestellt sind. Haiti ist ein weitgehend abgeholztes Land, so dass ein Hurrikan wie jetzt im Oktober viel größere Zerstörung und Verwüstung anrichtet, als in Ländern, wo die Bodenbeschaffenheit noch gesund ist.
DOMRADIO.DE: Wenn wir uns sieben Jahre zurückerinnern: Nach dem Erdbeben war die internationale Spendenbereitschaft enorm - Hilfsorganisationen waren vor Ort. Warum hat das trotzdem nicht dazu geführt, dass Haiti wieder auf die Beine gekommen ist?
Wichelmann: Ich glaube, das größte Problem ist, dass auch da die staatliche Koordination fehlte. Es herrscht eine ständige politische Krise. Es hat jetzt ein Jahr lang gedauert, bis endlich ein neuer Präsident gewählt und bestätigt werden konnte. Es gibt keinen richtigen Ansprechpartner für die Insitutitonen, die mit dem Staat zusammenarbeiten. Und viele Projekte laufen dann auch nicht gut. Es gibt viel Korruption im Land. Viele von den Geldern, die zunächst nach dem Beben zugesagt wurden, sind gar nicht geflossen, weil die Projekte nicht so realisiert werden konnten, wie man sich das zunächst vorgestellt hat.
DOMRADIO.DE: Auch Sie unterstützen zahlreiche Projekte auf Haiti. Wie funktioniert da die Hilfe?
Wichelmann: Wir haben den Vorteil, dass wir mit dem vielleicht einzigen Netzwerk arbeiten, in das die Bevölkerung noch Vertrauen hat - nämlich mit der katholischen Kirche. So sind wir an die staatlichen Strukturen gar nicht angebunden und nicht von ihnen abhängig. Unser Projektpartner sind Priester, Ordensleute und Bischöfe, die mit den Menschen vor Ort zusammenarbeiten. Sie können die Anliegen der Menschen direkt an uns herantragen.
Wir unterstützen ganz unterschiedliche Dinge - vor allem den Wiederaufbau. Da geht es uns nicht nur um den Wiederaufbau von Infrastruktur. Es geht auch darum, zum Beispiel den Menschen, die ganz Furchtbares erlebt haben, durch Traumaseelsorge beizustehen. Ein weiterer wichtiger Punkt in Haiti ist die Bildung: Die Schulsituation dort ist sehr schwierig. Auf dem Land gibt es Schulen, die von Lehrern betreut werden, die selbst nicht sehr viel mehr haben als ihre Schulausbildung. Wir unterstützen Diözesen, die Fortbildungsprogramme für Lehrer anbieten.
DOMRADIO.DE: Nach dem Erdbeben 2010 hat sich die Weltgemeinschaft geschworen: Haiti lassen wir nie wieder alleine. Aber genau das ist doch passiert, oder?
Wichelmann: Haiti hat leider das große Problem, dass es für die internationale Gemeinschaft wenig zu bieten hat. Es gibt kaum noch Tourismus, wenn man von einem Strand im Norden des Landes absieht. Es gibt kaum Bodenschätze. Es gibt kein wirkliches Interesse, in die Wirtschaft zu investieren. Das führt dazu, dass Haiti immer dann in die Schlagzeilen kommt, wenn es eine Naturkatastrophe oder politische Unruhen gibt.
Es gab den festen Vorsatz, das nach dem Erdbeben vor sieben Jahren zu ändern - Haiti nicht zu vergessen. Aber leider kommt dann woanders die nächste Katastrophe oder das nächste Problem und dann ist Haiti leider doch schnell wieder aus dem Bewusstsein der Menschen verschwunden.
Das Interview führte Silvia Ochlast.