DOMRADIO.DE: Was ist der wichtigste Unterschied zwischen der Lesung in der Kirche und dem Auftritt einer Bibelerzählerin?
Simone Merkel (Bibelerzählerin): Der wichtigste Unterschied oder das wichtigste Element ist im Grunde, dass beim Lesen das Buch zwischen den Lesern und den Hörern steht oder liegt oder gehalten wird. Der Schrifttext ist ein ganz anderer als der mündliche Text.
Beim freien Erzählen ist es einfach die dichte Beziehung zwischen Erzählerin und Hörern, die den Unterschied macht.
DOMRADIO.DE: Und was bereitet Ihnen persönlich die größte Freude beim Bibelerzählen?
Merkel: Genau dies ist es: Die Beziehung zu den Hörern, also beim Erzählen zu hören und zu erleben, wie sie mitfiebern, wie sie dabei sind, wie sie gewissermaßen vor dem inneren Auge die Bilder sehen, die erzählerisch gemalt werden. Das macht unheimlich Spaß.
DOMRADIO.DE: Kann man jede Geschichte gleich spannend erzählen oder gibt es Lieblingsgeschichten, von denen Sie sagen, damit packen Sie die Leute immer?
Merkel: Ich bin davon überzeugt, dass man jede Geschichte erzählen kann. Die Frage ist: Worin besteht die Spannung? Ob es eine Spannung im Sinne von heiterer Dramatik oder trauriger Dramatik ist, hängt ja auch vom Inhalt der Geschichte ab.
Man kann Geschichten spannend oder dramatisch, man kann sie still, leise und meditativ erzählen. Das kann sehr unterschiedlich sein.
DOMRADIO.DE: Sie wollen von Ihrem Wissen und von Ihrer Erfahrung auch etwas weitergeben und laden bald wieder zur Ausbildung "Bibelerzählen" ein. Welche Voraussetzungen sollten die Teilnehmenden denn mitbringen?
Merkel: Es gibt zwei Voraussetzungen, die Sie mitbringen sollten. Das eine ist die Lust an der Mündlichkeit, die Freude daran, Geschichten zu erzählen. Das zweite ist: Sie sollten eine Beziehung zu den biblischen Texten haben.
Wer überhaupt keine biblische Geschichte kennt, für den ist es schwer, in dieser Runde einzusteigen. Wer aber biblische Geschichten kennt und sie liebt, für den ist beim Bibelerzählen alles dabei.
DOMRADIO.DE: Was lerne ich dann in der Ausbildung?
Merkel: Ich lerne – ich benutze immer das Wort "Mundwerkskunst" – ich lerne also, frei zu erzählen und mit den Methoden des Erzählens zu arbeiten. Ich lerne, auf eine andere als die exegetische Art und Weise, in biblische Geschichten einzusteigen.
Ich begegne den Figuren in der Geschichte und mache sie zu meinen Partnerinnen oder Partnern. Es geht auch um das Training der Stimme und der Präsenz und um die Lust, selbst zu erzählen.
DOMRADIO.DE: Damit das auch klappt, haben Sie ein richtig buntes Team zusammengetrommelt.
Merkel:: So ist es. Es werden erfahrene Erzählerinnen und Erzähler dabei sein, die Geschichten präsentieren und damit zum Modell werden. Eine Schauspielerin wird dabei sein, die auch Märchenerzählerin ist. Es wird eine Stimm-Trainerin oder Stimm-Bildnerin dabei sein. So sind wir in einer spannenden und multiprofessionellen Runde gemeinsam unterwegs.
DOMRADIO.DE: Wie gefragt sind Bibelerzählerinnen und -erzähler denn überhaupt? Wo machen Sie das?
Merkel: Im Grunde überall, in der Gemeinde, in Kindergruppen, zu Hause, bei der Geburtstagsfeier werden biblische Geschichten erzählt, aber auch in besonderen Veranstaltungen, die Geschichten und Musik beinhalten.
Ansonsten im Grunde an jedem Ort, wo Menschen bereit sind, einander zuzuhören und sich gegenseitig etwas zu erzählen. Die Freude daran, dass es dieses mündliche Erzählen biblischer Geschichten gibt, wächst zunehmend.
Das Interview führte Heike Sicconi.