Die Zeitschrift Simpliccimus erschien erstmals vor 125 Jahren

SIMPLY THE BEST

Mit spitzer Feder, scharfer Zunge und einer blutroten Bulldogge als Markenzeichen: Bissig entlarvte die Wochenzeitschrift "Simplicissimus" mit Texten und Bildern Missstände. Am 4. April 1896 erschien das Blatt erstmals.

Autor/in:
Silke Uertz
Die Zeitschrift Simpliccimus erschien erstmals vor 125 Jahren (shutterstock)
Die Zeitschrift Simpliccimus erschien erstmals vor 125 Jahren / ( shutterstock )

Fortschrittsglaube bei gleichzeitigem Konservatismus prägten die Zeit Ende des 19. Jahrhunderts. Während in Berlin Kaiser Wilhelm II. über Wohl und Wehe der Deutschen wachte, stellte Röntgen Anfang 1896 die später nach ihm benannten Strahlen der Physikalisch-Medizinischen Gesellschaft vor, und in Athen standen die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit in den Startlöchern.

In dieser aufregenden Zeit nahm am 4. April vor 125 Jahren erstmals die "Illustrierte Wochenschrift" namens Simplicissimus mit Redaktionssitz in München gesellschaftliche Verhältnisse aufs Korn. Im Laufe der Jahre wurde sie zur berühmtesten deutschen Satirezeitschrift.

Mitstreiter von Erich Kästner bis Käthe Kollwitz

Zeichner und Künstler wie Thomas Theodor Heine, Olaf Gulbransson, Käthe Kollwitz, Lovis Corinth, Max Slevogt, Ernst Barlach, Heinrich Zille und George Grosz leisteten ihren Beitrag zur Erfolgsgeschichte des Blattes. Auch die Liste der Autoren ist lang und umfasst weit mehr als die Literaten Ludwig Thoma, Frank Wedekind, Jakob Wassermann, Erich Kästner, Eugen Roth sowie Heinrich und Thomas Mann.

Das Magazin galt als Aushängeschild der literarischen und künstlerischen Avantgarde. Als Literaturzeitschrift geplant schmückte den Titel der ersten Nummer eine Illustration von Angelo Jank zu Frank Wedekinds Erzählung "Die Fürstin Russalka", die in Auszügen im Heft abgedruckt war.

25 Pfennig für die Luxusausgabe

Kostenpunkt: Zehn Pfennige für die allgemeine, 25 für die Luxus-Ausgabe auf feinem Kunstdruckpapier. Gegründet wurde das Blatt vom jungen Verleger Albert Langen. Er nannte sein Heft nach der Figur eines Schelms.

Als Titel-Inspiration diente Langen das berühmteste Prosawerk des Barock, der Roman "Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch" von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen aus dem Jahr 1668.

Vorläufer von Titanic und Charly Hebdo

Zug um Zug wurde aus dem "Einfältigsten", wie "Simplicissimus" auf Deutsch heißt, ein Satiremagazin. Die Bilder wandelten sich von Literaturillustrationen zu politischen Karikaturen. Das Blatt war demokratisch und antifeudalistisch ausgerichtet und goss bissigen Spott über das spießige Bürgertum, die bigotte Kirche, preußische Beamte und das Militär.

Die Dogge hat Heinrich Heine gezeichnet

Geradezu ikonisch wirkte die rote Bulldogge des Zeichners Thomas Theodor Heine, die erstmals in Heft acht auftauchte und fortan zum Markenzeichen wurde. Die Satire entwickelte Schlagkraft, Beschlagnahmungen und Zensur fanden statt - und steigerten die Reichweite: Die Auflage erhöhte sich von wenigen tausend auf 85.000 im Jahr 1904.

Das Blatt wandelte sich, als sich die eigentlich militärkritische Publikation von der Begeisterung für den Ersten Weltkrieg anstecken ließ und in Wort und Bild ins patriotische Horn stieß. Auch in der Weimarer Republik konnte das Heft nicht mehr an die alte Bissigkeit anknüpfen, war ihm doch mit dem Abschied vom Absolutismus und der Einführung der Demokratie der Feind abhanden gekommen.

Von der bissigen Hund zum NS-Schoßhündlichen

Stattdessen wurde der französische "Erbfeind" der Lächerlichkeit preisgegeben und an den Pranger gestellt. Innenpolitisch schärfte sich die Kritik an extremistischen Kräften, die die Demokratie zu gefährden drohten, und Hitler-Karikaturen wurden veröffentlicht. Damit war im Frühjahr 1933 Schluss:

Die SA verwüstete die Räume der Redaktion, am 23. März wurde das Heft gleichgeschaltet. Der Spiegel, den der Kritiker im satirischen Normalfall der Obrigkeit vorhält, war erblindet. Die einst bissige Bulldogge wurde zum zahnlosen NS-Schoßhündchen, das am 13. September 1944 mit seiner letzten Nummer starb.

"Simpl", "funk" und "Alter Simpl"

Zahlreiche Wiederbelebungsversuche in der Nachkriegszeit fruchteten nicht. Heute erinnert noch in Wien das Kabarett "Simpl" mit der Bulldogge als Wahrzeichen an die Satireschrift.

Der Kanal "Simplicissimus" des von ARD und ZDF unterhaltenen Online-Medianangebots "funk" wirft in seinen Video-Essays nach eigener Darstellung "einen Blick hinter die Fassaden von Politik, Wissenschaft und Kultur". Und wenn die pandemiebedingt geschlossenen Gaststätten wieder öffnen, steht auch einem Besuch im 1903 gegründeten Künstlerlokal "Alter Simpl" in der Münchner Maxvorstadt nichts mehr im Weg.

Dort waren die Simplicissimus-Mitarbeiter früher Stammgäste.


Grimmelshausen (shutterstock)
Quelle:
KNA